Gute Zeiten, schlechte Zeiten im Mädchenpensionat

TRIER. Zitterpartie mit glücklichem Ausgang: Allen Wetter-Unbilden zum Trotz konnte der Trierer Konzertchor seine Opern-Premiere wie geplant "Open air" im Innenhof des Kurfürstlichen Palais feiern.

Er liebt sie und sie liebt ihn. Alles könnte so einfach sein, wäre da nicht die Umwelt, die Missgunst und Verwirrung sät. Er ist zu feige, ihr zu sagen, dass er wegen des Jobs für längere Zeit woanders hin muss. Sie sieht ihm das schlechte Gewissen an der Nasenspitze an und ist tödlich beleidigt, dass er überhaupt in Erwägung zieht, weg zu gehen. Triumph der Intriganten, tragisches Ende einer hoffnungsvollen Beziehung.Die alte Tante Oper ist moderner, als man denkt

"Gute Zeiten, schlechte Zeiten"? "Verbotene Liebe"? Irrtum. "Dido und Aeneas", geschrieben und komponiert im Jahr 1689. Und die ursprüngliche Geschichte ist, wie der geneigte Leser von "Schwabs Sagen des klassischen Altertums" weiß, noch drei Jahrtausende älter. Die gute alte Tante Oper ist moderner, als man denkt. Vor- ausgesetzt, man räumt den Schutt der Jahre so originell beiseite, wie es die neue Produktion des Trierer Konzertchors tut. Die Geschichte vom trojanischen Königssohn, der nach dem Fall seiner Heimatstadt in Karthago landet, dort um die Königin Dido freit, bis ihn böse Geister vermittels eines fingierten Götterbefehls zum Weiterzug bewegen, worauf Dido vor Gram stirbt: Regisseur Andreas May bettet sie in eine neue Rahmenhandlung ein. Dabei greift er auf, dass die erste verbürgte Aufführung von Purcells Oper in einer Mädchenschule stattfand. So findet sich das Publikum im Innenhof des kurfürstlichen Palais plötzlich als Zaungast einer Schulstunde wieder. Gemütlich schlendern die Schüler über den Hof, bis die Glocke zum Unterricht ruft. Der "Obermacker" der Klasse kommt mit der Freundin im Arm, die schüchterne Musterschülerin wird von der fröhlichen "Betriebsnudel" der Klasse begleitet. Die gestrenge Lehrerin lässt an einer überdimensionalen Tafel per Folienprojektion den Lehrstoff der Stunde Revue passieren: Die Sage von "Dido und Aeneas". Stück für Stück wachsen die Schüler in die Rollen, verschränken sich Schulstunde und Spielhandlung. Aeneas, der Macker, und Dido, die Musterschülerin, verlieben sich; die geschasste Freundin verwandelt sich in eine böse Zauberin, tauscht sogar die Folien der Lehrerin aus, fälscht das Drehbuch, um das Happy End zu verhindern. Das ist fantasievoll und detailgenau durchdacht, stellenweise auch in eine tolle Bildersprache umgesetzt. Und im Kopf funktioniert es auch. Aber auf der Bühne ertrinkt das Verständnis für die Handlung bisweilen in der Ideenflut des Regisseurs. Dabei fehlt es nicht an Bemühungen, den Ablauf transparent zu machen. Die Schüler sind in einheitliche weiße Uniformen gekleidet. Übernehmen sie eine Rolle, dann treten sie in einem farbigen Kostüm auf. Die Sänger spielen ihre Rollen plastisch, der Chor agiert mit demonstrativer Deutlichkeit. Aber die vielen Handlungsfäden entwirren sich auf der breiten, unübersichtlichen Bühne nicht immer. Weniger könnte durchaus mehr sein. Was nicht für die Musik gilt. Das Solisten-Quartett überzeugt mit einer Gesangskultur, die der Barock-Oper und ihrer gemessen-schlichten, auf Exaltation verzichtenden Stilistik vollauf gerecht wird. Gundula Schneider, kurzfristig für die erkrankte Eva-Maria Günschmann eingesprungen, gestaltet eine innige Dido, Tobias Scharfenbergers Aeneas überzeugt in lyrischen und kraftvollen Passagen gleichermaßen, Christina Clark bezaubert als agile, spielfreudige Belinda, Maria Kowollik verleiht der Zauberin den nötigen dämonischen Glanz (in weiteren Rollen: Tanja Ponten, Manuel Stöbel, Anja Weichert). Das Kurpfälzische Kammerorche-ster kommt über eine solide Begleiterrolle nicht hinaus; eigene Akzente, dynamische Ausrufezeichen, Dialoge mit den Sängern sind Mangelware. Was auch damit zusammenhängen mag, dass Dirigent Manfred May, gesundheitlich stark angeschlagen, direkt aus dem Krankenhaus ans Pult eilen musste.Ein Wunder vor der Basilika-Kulisse

Was immer man am Dirigenten May kritisieren mag: Der Chorleiter May hat ein Wunder vollbracht. Die Leistung des Konzertchors, das exakte Ausleuchten von Purcells musikalischen Gefühlswelten, der exzellente idiomatische Umgang mit den englischen Texten, die fein ziselierten Stimmungswechsel: Das wäre schon konzertant ein Meisterstück. Angesichts der komplizierten szenischen Aufgaben, die die Laien-Akteure "nebenher" erfüllen müssen, ist es eine Glanzleistung. Vergleichbare Qualität hätte man sich für die Antikenfestspiele gewünscht, aber dafür müssen Regisseur und Dirigent den Chor wie hier als zentrales Element einer Produktion begreifen und nicht als schmückendes Beiwerk. So wird der Abend vor der eindrucksvollen Basilika-Kulisse ein Erlebnis, nicht zuletzt dank der ideenreichen Ausstattung von Stephan Rinke und dem stimmungsvollen Licht von Reimar Toepell. Und auch das Orchester holt sich später seine Lorbeeren, mit Händels "Feuerwerksmusik", die Jochen Schaaf mit frischen Tempi und angenehm unpompös dirigiert.

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