Handy hoch, Sie sind umzingelt!

Trier · Für die einen ist es die Pervertierung eines Konzerterlebnisses, für andere der einzige plausible Grund, Musikern bei der Arbeit zuzuschauen: Bei kaum einer Liveshow kommt man heute noch ohne Handy-Filmer im Publikum aus.

 Live dabei – fast so gut wie YouTube? Hier filmt eine junge Zuschauerin die Show der britischen Indierock-Band Bloc Party beim diesjährigen Rock-a-Field-Festival in Luxemburg. Im Fokus hat sie den Sänger Kele Okereke – und nicht den Gitarristen Russell Lissack. TV-Foto: Andreas Feichtner

Live dabei – fast so gut wie YouTube? Hier filmt eine junge Zuschauerin die Show der britischen Indierock-Band Bloc Party beim diesjährigen Rock-a-Field-Festival in Luxemburg. Im Fokus hat sie den Sänger Kele Okereke – und nicht den Gitarristen Russell Lissack. TV-Foto: Andreas Feichtner

Trier. Irgendwann ist es Krystian Zimerman zuviel. Der gefeierte polnische Pianist verlässt in der Essener Philharmonie die Bühne. Mitten im Programm. Schmollend, sauer, genervt. Weil ihn wieder ein Zuschauer mit dem Smartphone gefilmt hat. Zimerman wird zurückkommen und sagen: Er habe durch veröffentlichte Handy-Videos schon Geld und Kontakte verloren, weil das Stück ja schon auf YouTube sei.
Für klassische Musiker ist es noch eher die Ausnahme, dass in den ersten Reihen Mobiltelefone gereckt und Videos fabriziert werden. Anders sieht es im Pop aus. Bei Auftritten mancher Boybands ist das Klatschen nach dem Song allenfalls noch was für Mama und Papa. Denn wer filmt, braucht die Hände fürs Festhalten. Oder zum Nachjustieren, falls wieder einer der nervigen Publikumsstatisten ohne Handy die Hände nutzlos überm Kopf wedelt und damit die Zehn-Zentimeter-Display-Sicht auf die Bühne verdunkelt.
Für Psychologen ist die Sache schnell erklärt: Es gehe darum, etwas für die Nachwelt zu erhalten. Kleine Spuren im Sand zu hinterlassen. Zu zeigen, dass man da war: Das zittrige, übersteuerte YouTube-Video als kleines Geschäft am Baum des Lebens. Was nicht auf Facebook geteilt und auf YouTube hochgeladen wurde, ist nie passiert. Es soll auch für ein Stück Individualität stehen. So machen viele Filmer vielleicht das gleiche, aber nie dasselbe Video.
Jörkk Mechenbier, Sänger der bundesweit bekannten Trierer Punkrockband Love A, sieht das Phänomen von zwei Seiten - von dies- und jenseits der Bühne. Gefilmt zu werden ist kein Ding für ihn, im Gegenteil: Die Aufmerksamkeit sei super, auch die Präsenz auf den Videokanälen störe nicht. Wenn er selbst im Publikum steht, reagiert er weniger entspannt. "Als Zuschauer macht mich das Filmen irrsinnig aggressiv. Wie es einen Rentner aggressiv macht, wenn Kinder unbefugt den Rasen betreten", sagt der Mittdreißiger: "Vielleicht ist das auch einsetzender Altersstarrsinn." Auch sein Bandkollege Dominik Mercier ist skeptisch: "Oft ist die Tonqualität schlecht, dann vermittelt das ein falsches Bild vom Konzert." Sascha Eigner, Gitarrist von Jupiter Jones, schaut sich die Videos wegen der meist dürftigen Qualität gar nicht erst an: "Es sind zu viele geworden. Komisch wird es zudem, wenn Leute inzwischen anfangen, mit Tablets zu filmen."
Es dürfte die größte Revolution bei Live-Konzerten der vergangenen 40, 50 Jahre sein. Illegale Tonmitschnitte unterschiedlichster Qualität gab es zwar immer. Für manche legendären Bootlegs großer Bands werden hohe Summen gezahlt. Nur das Risiko für die Macher war größer - und die Aufnahmegeräte waren es auch. "Es ist bei den meisten Veranstaltungen untersagt, Videoaufzeichnungen der Show zu machen", sagt Oliver Thomé, Geschäftsführer des Trierer Veranstalters Popp-Concerts.
Konzertalltag sieht anders aus


Einen Camcorder könne man am Einlass für die Dauer des Konzerts einbehalten, aber ein Handy mit Videokamera? "Man hat schnell gemerkt, dass das ein Kampf gegen Windmühlen ist", sagt Thomé. Grundsätzlich habe der Künstler und auch der Veranstalter ein "Leistungsschutzrecht". Das Filmen und Verbreiten einer Show setze die Einwilligung des Künstlers voraus. Im Konzertalltag sieht es aber längst anders aus.
Manche Musiker fordern sogar in Ausnahmefällen ihr Publikum zum Filmen mit dem Handy auf. So bat die britische Rockband Muse bei zwei Auftritten im Juni in Paris um Mithilfe - allerdings nur bei einem Stück. Die Konzertbesucher sollten den Song aus ihrer Perspektive hochladen. Beim Schneiden, Bearbeiten und Vertonen hat die Band das letzte Wort. So lässt sich davon ausgesehen, dass bei der Profikomposition aus Hunderten Perspektiven am Ende so was wie ein Kunstwerk herauskommen wird.
Für Krystian Zimerman klingt das wohl trotzdem alles nicht nach einem guten Plan.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort