HB-Männchen mit Tiefgang

Gerolstein · Von der Anstalt in den Lokschuppen: Der politische Kabarettist Urban Priol, der die Fernsehsendung "Neues aus der Anstalt" leitet, hat im Lokschuppen in Gerolstein die Bundesregierung heftig abgeledert. Die rund 850 Besucher waren begeistert.

"Wahnsinn!" So oft wie diese knappe Bezeugung größter Hochachtung vor dem Können des Künstlers ist wohl kaum ein Wort nach dem Auftritt des politischen Kabarettisten Urban Priol im Lokschuppen in Gerolstein zu hören gewesen. Klar, hätte man auch wortreich seinem Gegenüber erklären können, dass es Priol wie derzeit kein anderer Künstler seines Fachs in der Republik versteht, das Politikergeschwafel zu übersetzen. Die geschickte und voluminöse Wortverpackung wegzureißen, die Sprachhülsen zu entfernen. Mal fein säuberlich mit dem Skalpell, Schicht für Schicht. Mal mit dem Baseballschläger. Rummms! Oder man hätte Priols feine Rhetorik und unbändige Energie hervorheben können. Und wie sie sich in einem dauerhaften In-Rage-Reden, Über-die-Fühne-fegen, wildem Gestikulieren und Grimassenschneiden Bahn bricht. Wie seinerzeit beim HB-Männchen - nur mit Tiefgang. Es reicht aber auch ein schlichtes: "Wahnsinn!" Und da sind sich ausnahmsweise junge wie ältere Gäste mal einig. Für die Älteren hat der Derwisch aus Aschaffenburg noch ein paar besondere Ehrengäste dabei: "Bunnnnneskanzler" Helmut Kohl und sein Gebet vom "Auuuufschwung, es geht um Auuuufschwung!" Und den markig-cholerischen Herbert Wehner. Jawoll!

Au ja, die gute alte SPD. Für die hat der 49-Jährige mittlerweile nicht viel mehr als ein müdes Lächeln übrig. Und einen hübschen Vergleich: "Die SPD ist das Borussia Mönchengladbach der Politik: In den 70ern ein paar schöne Spiele gemacht und seither im Abstiegskampf." Treffer, Abpfiff, Applaus! So leicht kommt die Bundesregierung nicht davon. Dauerbeschuss! Wenn "Mutti", also Bundeskanzlerin Angela Merkel, und ihr schwarz-gelbes "Tigerenten-Kabinett" die Bürger im Handstreich zunächst an die Finanzjongleure und dann an die "Atommafia" verkauft und Milliarden hinblättert, aber zwei Monate um fünf Euro für Hartz IV feilscht, dann treibt es ihm die Zornesröte ins Gesicht. Dann ist er nicht mehr zu halten. Doch was macht der verkaufte Deutsche? Nichts! Widerstand? Ach, woher. Ja, darf man das denn? Vielleicht auch das der Grund, weshalb dem Künstler die Haare zu Berge stehen. Und dann wird aus dem Bundeswirtschaftsminister eben mal "Rainer, das schnelle Brüderle", dann spekuliert Priol mal eben, ob es zu einer Renaissance der RAF kommen könnte. Wohl kaum. "Der würde die so zutexten, dass sie ihn sofort laufen lassen würden." RAF? Richtig gehört? Ja, darf ein Kabarettist so was sagen? Ja, ja, jetzt kommen sie wieder alle, die Generalsekretäre der Parteien, die Moralapostel aus Wirtschaft, Feuilleton, Kirche. Kirche? Katholische Kirche. War da nicht auch was mit Missbrauch und so? Immerhin habe die Kirche die Vorfälle als moralische verwerflich gebrandmarkt. "Aber vom dekadenten Zöllibatswahnsinn will sie nicht abrücken", sagt Priol. Abrücken ist ohnehin ein gutes Stichwort. Abrücken der Priester von den Ministranten. Abrücken von der Bühne - nach einem zweieinhalbstündigen Wort-Orkan. Wahnsinn!

PRIOL-SPRüCHE



Rainer, das schnelle Brüderle: Bundeswirtschaftsminister und Ex-FDP-Landeschef von Rheinland-Pfalz Generalsekret der FDP: Christian Lindner Dead Man Walking, Gefälligkeitsdemokrat: Guido Westerwelle Bonsai-Duce: Berlusconi: die fränkische Wortgirlande, der Loddar Maddäus der Politik, Deutschlands bester Kopierer: Karl-Theodor zu Guttenberg

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