Heilende Sprache ohne Worte

Trier · Wenn die Sprache versagt, die Ängste zu groß sind, die Zurückgezogenheit ungesunde Formen annimmt, helfen oft nur noch Ausdrucksweisen, die ohne Worte auskommen. In der Kunsttherapie können Patienten sich mitteilen, ohne Gespräche führen zu müssen, können neue Wege zum Miteinander finden.

Bunte Kreise in leuchtenden Farben füllen das großformatige Bild. Es wirkt dynamisch, frei, lebensfroh und wie aus einem Guss. Entstanden ist es in einer Gruppenarbeit. "Jeder hat in einer eigenen Farbe gemalt", erklärt Anke Wagner. Die Schwierigkeit: "Sie durften nicht miteinander sprechen." Und doch hätten sie sich abgestimmt - in einer anderen Art der Kommunikation, durch die Kunst.

Wagner ist Kunsttherapeutin, ihre Klienten Patienten der Erwachsenenpsychiatrie des Mutterhauses in Trier. Deren überwiegend großformatige Werke zeigt die Ausstellung "Seitenwechsel" bis 30. Januar zwischen 11 und 17 Uhr in der Europäischen Kunstakademie, Aachener Straße, in Trier. "Die Bilder sind alle von Laien gemalt", betont die 26-Jährige. Sie wüssten oft nicht, welche verschiedenen Farben und Techniken es gebe, wie Leinwände erstellt würden. Es sei die Aufgabe des Kunsttherapeuten, geeignete Formen des Ausdrucks für den Patienten zu finden, sei es flüssige oder feste Farbe, Ton, Holz oder Stein wie etwa Speckstein, sowie die technischen Voraussetzungen zu vermitteln. Die Patienten dürfen aussuchen, was sie anspricht.

"Es gibt Patienten, die sind total antriebslos, andere sind vereinsamt und können sich nicht unterhalten", erklärt Wagner. "Wenn jemand für sich sein will und nichts von sich preisgeben möchte, ist es schwer, einen Zugang zu finden, ihn zu motivieren." Doch die nonverbale Therapie hilft: "Dabei können sie aktiv werden, ohne sprechen zu müssen."

Farben seien dabei ganz wichtig, sagt Wagners Kollege Klaus Berghaus. "Kann ich das, was ich fühle, einer Farbe zuordnen? Welche Farbe hat Angst? Ist Traurigkeit immer schwarz?" Es helfe, eine Farbe zu finden, die den Patienten anspricht, ihm gut tut, ihn stimuliert. Anfangs sei es sinnvoll, mit dem Spachtel zu gestalten. "Der Pinsel vermittelt oft die Angst, künstlerisch sein zu müssen." Doch das spiele in der Kunsttherapie nur eine untergeordnete Rolle. Jeder darf sich ausdrücken wie er will.

Und sie malen, was sie empfinden. Diese Erfahrung hat Claudia Weicker gemacht. "Übers Malen kommt das ans Licht, was im Körper ist", sagt die 43-Jährige, die sich in der Ausbildung zur Kunsttherapeutin befindet. "Ich schaue mir mit dem Klienten die Werke an und diskutiere mit ihm, versuche herauszufinden, was er damit meint." Die Kunst sei nur Hilfsmittel, Ergänzung zur Psychologie. "Wir haben beratende Funktion."

Malen als ständiger Begleiter



Weicker kam - genau wie Wagner, die Kunstpädagogik und -therapie in Gießen studiert hat - über die Kunst zu ihrem neuen Beruf. "Ich habe schon immer gemalt", sagt die Künstlerin aus Langsur-Metzdorf, die bis zum 13. April 40 ihrer Werke unter dem Titel "Farben leben lassen" in der Deutschen Richterakademie ausstellt. "Malen ist meine große Liebe und mein ständiger Begleiter." Als Kunstdozentin arbeitet sie mit Kindern und alten Menschen und hat dort gemerkt: "Die Menschen öffnen sich bei mir." Das stellt sie nun mit ihrer Ausbildung am Institut für Entspannungstechniken und Kommunikation (IEK) in Braunschweig auf professionelle Füße. Anschließend folgt die Prüfung zum Heilpraktiker für Psychotherapie. "Die benötigt man, um selbstständig zu arbeiten", sagt Weicker. In Kliniken werde sie nicht benötigt, ergänzt Berghaus, da immer Psychologen zum Team gehörten. "Im Mutterhaus kommen die Patienten zu uns, um Stress abzubauen, sich zu beschäftigen oder einfach nur, um die Station zu verlassen", sagt Wagner. "Wir haben schon geholfen, wenn sie lächeln, wacher werden, sich öffnen oder mehr reden."

Extra

In Deutschland gibt es kein einheitliches Berufsbild für Kunsttherapeuten. Jedoch werden an Fachhochschulen vierjährige Grundausbildungen, an Universitäten und Kunsthochschulen Aufbaustudiengänge angeboten. Daneben bieten private Institute Ausbildungen in Vollzeit und berufsbegleitend mit staatlich anerkanntem Abschluss an. Wer selbstständig praktiziert, muss die Prüfung zum Heilpraktiker für Psychotherapie ablegen. Darin wird geprüft, ob der Anwärter in der Lage ist, verantwortlich mit dem Patienten psychologisch oder psychotherapeutisch zu arbeiten. Arbeitsbereiche sind Kliniken für Psychosomatik oder Psychiatrie, Heime für Senioren oder Behinderte, Altenpflegeheime, Sonderschulen oder Praxen für Kunsttherapie. Patienten sollten sich über eine Kostenübernahme der Krankenkasse informieren. In Kliniken wird die Kunsttherapie meist im Rahmen der Behandlung abgerechnet. (mehi)

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