Herr Graf, es ist angerichtet

TRIER. Reichlich Blut fließt bei der Produktion des Theater-Jugendclubs in der Tuchfabrik. Die 17 Nachwuchs-Akteure im Alter von 14 bis 18 Jahren haben sich das schaurige "Dracula"-Thema für ihre Aufführung ausgesucht.

Einsam liegt ein abgerissenes Bein auf der Bühne. Daneben kauert der verstümmelte Insasse eines Irrenhauses, merkwürdige Untote schleichen durch die Kulissen, Werwölfe brechen ins Haus ein, begleitet von unheimlich-schrillen Flötentönen. Wir sind im Reich des Grafen Dracula. Auch wenn es bei der Probe noch nicht so aussieht. Es fehlen Kostüme, Licht, Requisiten, und die jungen Darsteller brechen ein übers andere Mal unversehens in Gelächter aus, wenn der Kontrast zwischen den gruseligen Begebenheiten im Text und den Alltagsklamotten der Akteure gar zu deutlich zu Tage tritt. Die Zeiten ändern sich, auch beim Jugendclub des Theaters. Einst führte man Shakespeares blutigen Polit-Thriller "Titus Andronicus" auf, jetzt ist eher B-Movie-Horror gefragt. Mochten die Regisseurinnen Sylvia Martin und Elke Reiter auch Brecht oder Wedekind vorschlagen: Das Herz der jungen Truppe schlug eindeutig für Bram Stokers legendäres Schauerdrama. Man fand eine Bühnen-Fassung des theatererfahrenen Dramaturgen Reinhard Palm, die es erlaubt, mit großer Besetzung zu spielen. Das war im vergangenen Herbst. Seit Jahresbeginn wird an der Realisierung gearbeitet. Bei den Proben und Improvisationen hat sich schon früh herauskristallisiert, dass die Nachwuchs-Truppe - die meisten haben noch nie auf der Bühne gestanden - keine Musik vom Band nutzen will, sondern auf Live-Klänge setzt. Zwei Jungs aus dem Ensemble haben den "Soundtrack" komponiert, der durch live produzierte Geräusche ergänzt wird. Keyboarder und Gitarrist sind sichtbar in das Bühnenbild integriert.Dracula ist weiblich

Im Original-"Dracula" gehören die tragenden Figuren fast ausschließlich dem männlichen Geschlecht an. Beim Jugendclub ist es umgekehrt: Die große Mehrheit der Akteure ist weiblich. So kommt es, dass der blutsaugende Graf ebenso wie sein Gegenspieler Dr. van Helsing von jungen Frauen gespielt werden. Bernadette Borkam, die schon Bühnen-Erfahrung im "großen" Theater hat, gibt die Titelrolle, Hanna Kilzer verkörpert den Vampirjäger. Beide sind im Moment mächtig erkältet, was dem Bösewicht eine gruftige Blässe verleiht - und dem Wissenschaftler eine grottige Stimme. "Mit Salzwasser gurgeln", empfiehlt Elke Reiter, "ist eklig, aber hilft". Auch das Regie-Duo ist an diesem Probennachmittag mancherlei Fährnissen ausgesetzt. Zum Beispiel dem Horror beträchtlicher Textlücken und dem Schrecken mangelnder Beleuchtung. Fünf Tage vor der Premiere bleibt noch jede Menge Arbeit. Aber Martin und Reiter müssen ihre Darsteller nicht groß ins Gebet nehmen, das machen die Jung-Schauspieler schon selbst. "Wir sind nicht konzentriert genug, dadurch wird die Probe uneffizient", kritisiert Yvonne Griesinger bei der Abschlussbesprechung. Der Appell fruchtet. Aufmerksam werden Schwachstellen analysiert, Lösungen gesucht. Geduldig diskutieren die Regisseurinnen Varianten für das Finale, mit dem alle Beteiligten noch nicht so recht zufrieden sind. Szene um Szene arbeitet man sich an das Ergebnis heran, das bei der Premiere das Publikum faszinieren soll. Bislang hat das beim Jugendclub noch immer funktioniert, bei "Titus" und "Fiesco", "Linie 1" und "Ghetto", "Marquis de Sade" und "Mädchen in Uniform". Auch am Samstag (20 Uhr, Tufa, weitere Termine: 28. Mai; 21., 23., 24. Juni) wird das so sein. Aber die Zuschauer werden, wie immer, kaum ahnen, wie viel Arbeit in einer Produktion steckt.

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