Hindernislauf zur Premiere

Ein Roman der Weltliteratur, zum ersten Mal auf einer deutschsprachigen Bühne, eigens für Trier übersetzt: Salman Rushdies Stück "Mitternachtskinder", das am Samstag, 9. Oktober, Premiere feiert, ist ein ambitioniertes Projekt - mit ungewöhnlicher Entstehungsgeschichte.

Trier. Mit der "welt.eroberung" hat alles angefangen. Als Chefdramaturg Peter Oppermann nach Stücken suchte, um das Motto der diesjährigen Theatersaison mit Leben zu erfüllen, dachte er auch an einen Stoff aus dem großen Subkontinent Indien. Salman Rushdies Roman "Mitternachtskinder" sollte es sein, ein Meisterwerk zwischen Realismus und Magie, zwischen Poesie und Politik, das dem englisch-indischen Autor 1981 den weltweiten Durchbruch verschafft hatte.

Zunächst dachte Oppermann daran, den 640-Seiten-Wälzer eigenhändig in eine Theater-Version umzuarbeiten - wie es ihm mit "Madame Bovary" vor einigen Jahren bemerkenswert gut gelungen war. Aber dann entdeckte er im Internet, dass es 2003 bei der Londoner Royal Shakespeare Company eine unter Mitwirkung von Salman Rushdie entstandene Bühnenfassung gegeben hatte.

Doch das Manuskript war nicht einmal mehr bei dem Londoner Ensemble aufzutreiben. Da half der Zufall: Bei Ebay wurde eine Text-Ausgabe der Theaterfassung von einem Antiquar angeboten. Oppermann ersteigerte das gute Stück, und es wanderte weiter nach Wien, wo die Übersetzerin Ingrid Rencher es ins Deutsche übertrug - als Auftragswerk für das Theater Trier.

Rushdies Plazet kam erst auf den letzten Drücker



Das Stück war also da, was fehlte, war die persönliche Freigabe von Salman Rushdie. Das Prozedere zog sich hin, der Regisseur war mit Stefan Maurer längst gefunden, die Rollen verteilt, der Spielplan geschrieben. Und dann kam, auf den allerletzten Drücker, das Plazet des Autors. "Erst als der Vertrag mit Rushdies Unterschrift in unserer Schublade lag, habe ich wieder gut geschlafen", sagt Oppermann rückblickend.

Seither hat das komplette Schauspiel-Ensemble intensiv daran gearbeitet, die Geschichte des Salim Sinai auf die Trier er Bühne zu bringen. Salim ist eines der mythischen Mitternachtskinder, die am 15. August 1947 zu jener Stunde geboren wurden, als Indien unabhängig wurde. Ihnen, die im ganzen Land verstreut leben, werden fantastische Kräfte und Fähigkeiten zugeschrieben. Sie können heilen, zaubern oder, wie Salim, Gedanken lesen.

Das Stück verfolgt die Geschichte des reichen muslimischen Erben Salim und des armen Hindu-Sohns Shiva, die nach der Geburt vertauscht wurden, über die Spanne eines ganzen Lebens, quer durch Indien und Pakistan, immer vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen.

Eine seine früheren Roman-Figuren hat Rushdie sagen lassen, Indien sei "ein sinnvolles Chaos". "So ist auch unser Stück", sagt Regisseur Stefan Maurer, der letztes Jahr im Luxemburger Nationaltheater eine hochklassige "Virginia Woolf" inszeniert hat. Kurze, schlaglichtartige Szenen, "fast filmisch" geht es zu.

Maurer hat das Personen-Tableau und die Handlungsstränge gegenüber der Londoner Uraufführung deutlich reduziert - dennoch haben fast alle Schauspieler mehrere Rollen zu bewältigen. Gabriel Spagna wurde für die Hauptrolle eigens ins Ensemble geholt. Das Konzentrieren des Bühnengeschehens hat nicht nur praktische Gründe: Viele Details an Rushdies Geschichte setzen genaue Kenntnisse der indischen Kultur voraus - und die sind hierzulande nicht so selbstverständlich wie in London.

Die zu jeder Vorstellung angebotene Einführung solle man sich trotzdem - oder gerade deshalb - nicht entgehen lassen, empfiehlt Peter Oppermann. Termin ist jeweils 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn.

"Mitternachtskinder" auf dem Spielplan: 9., 12., 13., 16., 22. Oktober; 21., 28. November; 18. Dezember.

Extra

Salman Rushdie (63) ist ein englischer Schrift steller indischer Herkunft. 1988 wurde er weltbekannt, als ihn Religionsführer Ayatollah Chomeini wegen seines Romans "Die satanischen Verse" zum Tode verurteilte und eine Belohnung auf seinen Kopf aussetzte.

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