Höchste Töne, höchst barock (Video)

Trier · Warum sich der Countertenor als Erbe der Kastraten sieht, verrät er vor seinem Konzert im Kloster Machern.

Trier Sein Gesang scheint engelsgleich, die Höhe seiner Stimme schwindelerregend. Valer Sabadus gehört zu den aufregendsten Countertenören dieser Zeit. Einmal mehr kommt der Sänger im September zum Mosel Musikfestival ins Kloster Machern. Gemeinsam mit dem Ensemble Nuovo Aspetto und der Cellistin Ulrike Becker widmet er sich Liedern des barocken Komponisten Antonio Caldara. Über sein seltenes Stimmfach sprach er mit TV-Mitarbeiterin Eva-Maria Reuther.
Wie haben Sie erkannt, dass der Countertenor Ihr Fach ist?
VALER SABADUS: Ich habe nach dem Stimmbruch bemerkt, dass ich mich immer noch in einer sehr hohen Stimmlage befand. Mit 17 Jahren habe ich dann zufällig den Countertenor Andreas Scholl gehört und versucht, seine Stimme zu imitieren. Meine Mutter, eine Pianistin, war so perplex, dass sie mich gleich ans Klavier geschleift hat. Wir haben dann eine Reihe geistlicher Lieder rauf und runter gesungen, bei denen ich falsettiert habe. Da erst wurde mir bewusst, dass der Countertenor mein Fach ist.
Was ist für Sie das Reizvolle am Stimmfach Countertenor?
SABADUS: Das Widersprüchliche zwischen dem Natürlichen und dem Artifiziellen. Man ist natürlich ein Mann, aber trotzdem hat man diese hohe Stimmlage, die fast etwas Übernatürliches, Engelsgleiches hat. Ein guter Teil des traditionellen Repertoires wurde für Kastraten geschrieben. Für mich besteht ein großer Reiz meines Faches darin, dass wir heute ganz natürlich, ohne Verstümmelungen singen können, was eigentlich für Kastraten bestimmt war. Mit unserem Gesang lassen wir sozusagen deren Mythos wieder aufleben. In gewisser Weise sind wir Countertenöre die Erben der Kastraten.
Die Stimmlage des Countertenors singen ja auch Frauen. Welcher Unterschied besteht da für sie?
SABADUS: Wenn eine Frau diese Stimmlage singt, kommt das beim Publikum ganz selbstverständlich rüber. Trotzdem ist es authentischer, wenn Männer-Rollen auch mit einem Mann besetzt werden. Natürlich kommt man im Zusammenhang mit Countertenören um das Thema Geschlechteridentität und Travestie nicht herum, allein aus musikgeschichtlicher Sicht. In der Barockoper hat die Stimmlage des Countertenors eine zentrale Funktion. Ursprünglich waren allerdings die größten Gesangsstars im 17. Jahrhundert die Kastraten, die Frauen- wie Männerpartien sangen. Auch Countertenöre gab es, die aber viele Rollen nicht singen konnten, aus Gründen der Lautstärke und der noch nicht so ausgefeilten Technik. Und natürlich Frauen - die zum Teil aber auch Männer darstellten. Um das Ganze noch komplizierter zu machen, verkleideten sich die Figuren im Laufe der Geschichten gern. Männer flüchteten in Frauenkleidern, Frauen kämpften in Hosenrollen als Männer um ihre Liebsten. Der größte Teil der Rollen wurde allerdings mit Männern, eben Kastraten besetzt. Erst im 18. Jahrhundert wurde der Countertenor dann wieder entdeckt.
Würden Sie sagen, dass der moderne Countertenor den Falsett-Gesang von der Brutalität der Kastration befreit und quasi emanzipiert hat?
SABADUS: Das haben Sie sehr schön gesagt. Man muss sich im Übrigen von der Vorstellung lösen, dass ein gestandener Mann mit einer typischen Männerstimme singen muss. Außerdem geht es auch darum, den Countertenor vollständiger darzustellen, der ja nicht nur Falsett singt, sondern auch mit seiner Modalstimme (Vollstimme Anm.d.Red.).
Wie erklären Sie sich die heutige Beliebtheit der Countertenöre?
SABADUS: Ursprünglich kommt der Countertenor aus dem Chorgesang. Ich denke, heute identifiziert das Publikum die Stimme viel stärker mit der Person des Sängers. Außerdem hat gerade das Stimmfach Countertenor dazu beigetragen, wieder äußerst kostbare Musikliteratur neu zu entdecken. Außerdem glaube ich, dass heute auch die Qualität des Gesangs besser geworden ist, so dass sich der Countertenor auch mit den anderen gestandenen Sängern auf der Opern-oder Konzertbühne messen kann. Damit ist auch bei den Opernhäusern und Konzertveranstaltern die Akzeptanz größer geworden, so dass man die Countertenöre auf allen möglichen Podien erlebt.
Der Contertenor kommt aus der Polyphonie, dem mehrstimmigen Gesang. Haben Sie noch Interesse an Chorwerken oder treten Sie lieber als Solist auf?
SABADUS: Sowohl als auch. Allerdings habe ich mich inzwischen auf Monteverdi und Vivaldi spezialisiert. Auf Madrigalgesänge des 15. Jahrhunderts möchte ich nicht so gern zurückgehen. Ansonsten reicht mein Repertoire etwa bis Mozart. Allerdings reizen mich auch moderne Kompositionen wie die von Leonard Bernstein. Leider liegen viele der zeitgenössischen Kompositionen für meine Stimmlage zu tief. Ansonsten bin ich sehr offen, auch für Experimente. Ich habe ja auch schon Jazz gesungen. Das ist der Wermutstropfen in unserem Fach, dass der größte Teil des Repertoires aus dem Barock stammt.
Was reizt Sie, wieder nach Machern zu kommen?
SABADUS: Zunächst die Atmosphäre dieses wunderbaren Ortes und der schönen Moselgegend. Das barocke ehemalige Zisterzienserkloster ist außerdem ein perfekter Rahmen für unser Musikprogramm. Was gibt es Schöneres, als im Ambiente des barocken Saals barocke Werke wiederzugeben und anschließend ein gutes Glas Moselwein zu trinken.
Ein Video von Sabadus gibt es auf volksfreund.de/extra.
Termin Mosel Musikfestival: 8. September, 20 Uhr, Kloster Machern. Karten gibt es im TV-Service-Center Trier, unter der TV-Tickethotline 0651/7199-996 sowie unter www.volksfreund.de/tickets Interview Valer SabadusExtra: BEENDETE STUDIUM MIT AUSZEICHNUNG


Der Künstler wurde 1986 in Arad in Rumänien als Sohn einer Pianistin und eines Cellisten geboren. 1991 emigrierte die Familie nach Deutschland, wo Sabadus in Niederbayern aufwuchs. Seine Gesangsausbildung begann der Sänger mit 17 Jahren an der Hochschule für Musik und Theater München bei Gabriele Fuchs. Seit 2009 war er Mitglied der Bayerischen Theaterakademie August Everding, wo er 2013 sein Aufbaustudium in der Meisterklasse Musiktheater mit Auszeichnung beendete. Sabadus, der international gefragt ist und mit allen wichtigen Dirigenten zusammengearbeitet hat, ist zweifacher Echo-Preisträger.

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