Unterm Strich Die Kulturwoche Der Fluch des Erfolgs und andere Knochenarbeit

Irgendwo in den nächsten Monaten steht sie ganz bestimmt wieder auf dem Programm irgendeines Opernhauses: Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“. (Nur damit keine Verwechselungen aufkommen: wir reden hier nicht von dem 1936 in Indien geborenen Sänger, der sich mit Schmalzgebäck wie „Release me“ oder „A man without love“ in die Herzen aller Liebeskranken gesungen hat und der in Deutschland eben wegen seines Namensvetters aus Siegburg auf den Nachnamen verzichten musste).

Aber Erfolg kann auch zum Fluch werden, weil er alles andere in den Schatten gestellt hat, was der Tonsetzer, der von 1854 bis 1921 lebte, sonst noch so geschrieben hat („Königskinder“ etwa oder „Dornröschen“ – schon mal was davon gehört? Na bitte!).  „Er wäre lieber als Komponist komischer Opern nach dem Vorbild von Albert Lortzings ,Zar und Zimmermann’ in Erinnerung geblieben”, sagt der Musikwissenschaftler Christian Ubber. Er ist der Leiter der Musikwerkstatt Siegburg, die das Leben des in der Stadt geborenen Komponisten erforscht.

Humperdinck habe sich zeitlebens darüber beklagt, dass er mit diesen Werken, die ihm eigentlich wichtig gewesen seien, keinen Erfolg gehabt habe. sagte Ubber. Und was das „Dornröschen” angehe – das sei ja eigentlich eher ein Sozialdrama ohne Happy end. „Deshalb ist das Stück nicht familientauglich und erfüllt nicht die Erwartungen, die man an eine Märchenoper hat.” Das Bild des Komponisten als gütiger Märchenonkel am Klavier wurde übrigens aufgrund neuer Forschungsergebnisse ein wenig modifiziert. Politisch sei Humperdinck konservativ-national eingestellt gewesen. „Er hat auch zu Beginn des Ersten Weltkriegs einige Werke geschrieben, die man als nationalistisch bezeichnen muss. Auch das kommt bei uns zur Sprache. Wir wollen solche weniger angenehmen Seiten auf keinen Fall verschweigen.” Also, wenn’s beim nächsten Mal wieder heißt „Brüderlein, komm tanz mit mir”, sollte man nicht vergessen, dass sich der Urheber nicht immer die besten Tanzpartner ausgesucht hat.

Dass die eigenen Knochen zum Unesco-Weltdokumentenerbe veredelt werden, kann nicht jedes Skelett von sich behaupten. Wilhelm Conrad Röntgen darf jedenfalls demnächst möglicherweise damit prahlen – wo immer er sich derzeit auch aufhält. Historische Röntgenbilder aus dem Deutschen Röntgen-Museum in Remscheid, dem Geburtsort des Physikers, sind für das Erbe nominiert worden. Die Aufnahmen hatte Röntgen im Zuge seiner Forschungen angefertigt – Durchleuchtungsbilder seiner eigenen Hände und, warum auch immer, seines Jagdgewehrs aus den Jahren 1895/96. Ebenfalls nominiert wurde die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds – die weltweit einzige, die den gesamten Text des Werks enthält. Als dritten Vorschlag reicht Deutschland gemeinsam mit der Schweiz den literarischen Nachlass des Philosophen Friedrich Nietzsche ein, der in Archiven und Bibliotheken der beiden Länder – unter anderem der Klassik Stiftung Weimar – aufbewahrt wird. Die Dokumente sollen für die Öffentlichkeit im Internet zugänglich sein. „Diese Schriften und Bilder schlagen eine Brücke über die Jahrhunderte. Sie sind wichtige Zeugnisse unserer Zivilisation und ein Schatz für Wissenschaft und Forschung”, sagte Joachim-Felix Leonhard, Vorsitzender des deutschen Nominierungskomitees für das Weltdokumentenerbe. Aber ein bisschen Geduld braucht’s noch, bis die Champagnerkorken knallen können: Über die Aufnahme in das Unesco-Register wird erst 2025 entschieden. no/dpa