„Ich war ein Idiot, bis ich 50 wurde“ - Andy Scott, der Gitarrist von Sweet, im TV-Gespräch

Wer bei Titeln wie „The Ballroom Blitz“, „Action“ und „Love Is Like Oxygen“ Ohrwürmer kriegt, hat in den 70ern und 80ern fleißig Musik gehört und war wahrscheinlich ein Fan der Band Sweet. Die blickt mittlerweile auf über 40 Jahre Bandgeschichte zurück. Unter dem Titel „Finale“ gehen sie nun nochmal auf Tour. Ihr für Ende Mai angekündigtes Konzert in Wittlich wurde auf den 21. Oktober in die Mehrzweckhalle in Dreis verlegt. Tickets behalten ihre Gültigkeit. Unser Interview wurde geführt bevor das Konzert abgesagt wurde.

„Ich war ein Idiot, bis ich 50 wurde“ - Andy Scott, der Gitarrist von Sweet, im TV-Gespräch
Foto: privat

Die Band Sweet steht seit Anfang der 70er Jahre weltweit auf großen und kleinen Bühnen, mit ihrer Tour "Finale" sind Sie am Mittwoch, 25. Mai im Eventum Trier zu Gast.
Redaktionsmitglied Stefanie Braun sprach mit Gründungsmitglied Andy Scott über gesunde Lebensführung, Brexit und Pornos aus den 70ern.

Sie treten als "Sweet" seit den frühen 70er Jahren auf - Haben Sie sich seitdem als Person weiterentwickelt und wenn ja, wie?
Andy Scott: Ich kam 1970 zur Band, wir waren damals ein Haufen junger Kerle, die bloß nicht ins "Business", sondern einfach Musik machen wollten. Dann kam ein bisschen Erfolg und auf einmal wurde man als Person eine Art Cartoonfigur von sich selbst. Man sieht sich selbst in Zeitungen, in Magazinen, auf Filmen, wie man die Gitarre hin und her wirbelt und verrückte Dinge tut. Es ist fast, als würde man "Tom & Jerry" gucken. Wenn man dann älter wird, wird einem klar, dass ein Idiot zu sein nicht der beste Weg im Leben ist, um weiter zu kommen. Ich war wahrscheinlich ein ziemlicher Idiot bis ich 50 Jahre alt wurde. In den letzten 15 oder 10 Jahren bin ich ein netterer Mensch geworden, als ich jemals war.

Sich selbst als Teil eines Comics sehen, klingt ziemlich seltsam.
Scott: Ja, aber so ist die Welt des Entertainments. Besonders heutzutage. Ich glaube nicht mehr, was ich sehe und höre, weil es einfach so viele Möglichkeiten gibt, Sachen so zu arrangieren, das sie sich anders anhören. Man kann einfach so viel mit dem Computer machen und die Charakteristiken eines Menschen oder einer Sache ändern. Ich komme aus einer Zeit, in der man den Aufnahmeknopf gedrückt hat, dann gespielt und am Ende die Aufnahme gestoppt hat. Was man auf dem Tape hatte, war das, was man performt hat. Heute kann jemand eine Basedrum zu einem Lied hinzufügen und es ist noch nicht mal eine richtige Basedrum, weil sie aus einer Musikdatenbank kommt. Sogar die Stimmen sind getunt. Das ist schon clever gemacht, und anscheinend auch das, was die Leute heutzutage wollen. Wenn ich mir die Musikvideos von heute ansehe, erinnert mich das eher an Pornos aus den 70ern als an Musikvideos. Vor 45 Jahren hatten wir so eine Art von Freiheit und heute leben wir in einer Welt, in der man sich jemandem nicht nähern kann, man sich nicht berühren, oder offen miteinander reden kann. Aber in den Musikvideos sieht es aus, als müsste man nur die Kleidung ausziehen und alles wäre okay.

Das Image eines Rockmusikers machen Sex, Drugs & Rock n‘ Roll aus, stehen auf der Kehrseite der Medaille auch eine kalte Dusche, Aspirin und Ohrstöpsel?
Scott: (lacht) Also ich höre noch. Und eine kalte Dusche hat noch niemandem geschadet.
Denken Sie denn manchmal über ihren Lebensstil als Rockstar nach, immerhin sind bereits zwei der ursprünglichen Bandmitglieder gestorben.
Scott: Ich habe immer wieder über meine eigene Situation in dieser Band nachgedacht, immerhin war ich mit zwei Menschen unterwegs, die kein Punkt kannten, an dem sie gestoppt hätten. Ich habe so einen Punkt und ich weiß, wann es genug ist. Ich hoffe, dass ich dadurch ein bisschen länger durchhalte.

Was machen Sie denn um gesund und fit zu bleiben?
Scott: Wahrscheinlich nicht genug um fit zu bleiben: Ich hatte ein Fahrrad, aber jetzt lebe ich auf dem Land, mit einer ziemlich schmalen Fahrbahn. So viele werden auf dem Fahrrad von einem Auto erfasst, da habe ich einfach keine Lust drauf. Manchmal fahre ich noch über die Felder oder entlang der Kanäle, wo man eben nicht mehr auf der Straße ist, das ist mir einfach zu gefährlich. Ich spaziere gelegentlich. Aber die Art, wie wir auf Tour gehen, hält mich ziemlich fit. Letztes Jahr hatten wir 56 Shows zwischen September und Dezember, während der zwei Stunden auf der Bühne hat man ein gewaltiges Paket zu stemmen, mental wie physisch.

Was bedeutet es Ihnen auf der Bühne zu stehen? Feiern Sie da "die guten alten Zeiten" oder geht es auch darum neue Ideen und Konzepte vorzustellen?
Scott: Auf der aktuellen CD haben wir auch zwei neue Lieder, diese CD ist auf jeden Fall ein Feiern der letzten 45 Jahre Musik. Sie wurde im selben Monat released, in dem auch "Action" 1975 herauskam. Die CD heißt deshalb auch "Action - The ultimate Story of Sweet". Sie war auch in den deutschen Charts, etwas was wir seit 20 Jahren nicht mehr geschafft haben. Für den Song "Defender"gibt's auf Youtube sogar ein Fanvideo im Cartoonstil.

Das Publikum ist Ihnen also nach wie vor treu?
Scott: Um ehrlich zu sein, ich glaube, die Leute sind mehr interessiert an den Hits aus den 70ern und den 80ern, als an den Songs, die in den 90ern und 2000ern oder später rauskamen. 90 Prozent von unserem aktuellen Repertoire stammen aus dem Jahr, in dem wir Millionen Platten verkauft haben. Andererseits kommen auch viele junge Leute zu unseren Konzerten, und es sind nicht nur Eltern, die ihre Kinder mitbringen. Das Problem in der Musik war lange Zeit, dass man nur in einer Sparte geblieben ist. In den 70ern wäre es nicht möglich gewesen, dass eine Sängerin wie Lady Gaga zusammen mit Tony Benett ein Lied macht. Heute haben wir mehr cross-overs in der Musik, alles ist viel ausgebreiteter, so viele Künstler machen Kollaborationen, in denen beispielsweise auch Heavy Rock Bands zusammen mit Popsängern arbeiten können. Das ist ziemlich gesund für die Musik.

Bemerken Sie denn Veränderungen im Publikum?
Scott: Wir hatten eine ziemlich spaßige Zeit in den 80ern, in denen wir eine Heavy Metal Band waren. Aber egal wo wir hingegangen sind, wenn wir nicht die harten Lieder gespielt haben, gab's Probleme. Das hat sich verändert. Aber die Leute wollen immer noch die alten Hits hören. Die einzige Möglichkeit, die Leute an die neuen Sachen heranzuführen ist, die Hits zu spielen und zwischendurch immer mal ein neues Lied einzustreuen. Nur so viel, dass sie einen Vorgeschmack darauf kriegen, dass wir auch anderes haben.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 10, 20 Jahre?
Scott: Ich wünsche mir, dass meine Enkelin (7) in einer besseren Welt aufwächst. Ich denke, die Welt geht gerade durch eine ziemlich schwierige Phase. Verbündete und Freunde auf politischer Ebene sind keine Freunde mehr. Europa ist gerade an einem schwierigen Punkt und wenn wir nicht aufpassen, zerfällt alles zurück in den Zustand, den wir vor 30 Jahren hatten. Das wäre wirklich eine Schande. Aber vielleicht muss auch alles zerbrechen, damit es wieder neu aufgebaut werden kann. Ich denke, Großbritannien wird die EU verlassen, weil jeder denkt, dass es in der EU nichts für Großbritannien gibt. Ich möchte nicht, dass wir die EU verlassen, weil sie eine starke Gemeinschaft ist. Aber an dem, was ich von den Leuten hier höre, merke ich, dass sie nicht daran glauben, dass die EU Großbritannien in irgendeiner Weise von Nutzen ist oder dass die EU uns überhaupt dabei haben will. Ich denke, wir werden die EU verlassen und das wiederum wird ihr weiter schaden, weil sich auch andere abwenden werden.

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