Im Clinch mit dem Thermometer

TRIER. Zu einem harten Kampf mit der herbstlichen Kühle entwickelte sich der Saison-Auftakt des städtischen Orchesters im Lotto-Forum der Landesgartenschau. Lange konnten István Dénes und seine Truppe das Spiel offen halten - am Ende siegte knapp die Witterung.

Händels komplette Feuerwerksmusik, Beethovens "Pastorale", Borodins "Polowetzer Tänze": Was sich das städtische Orchester zum Thema "Vier Elemente" ausgesucht hat, wäre auch in bequemen Theatersesseln bei freundlichen Zimmertemperaturen ein üppiges Programm. Aber auf den Steintreppen des Lotto-Forums, wenn bei einbrechender Dunkelheit die Kälte den Petrisberg hochkriecht und sich durch die Schuhsohlen in die Hosenbeine schleicht? Da wachsen die 85 Musiker und die 250 Zuhörer zusammen zur Schicksalsgemeinschaft im Clinch mit dem Thermometer. Maestro Dénes, der an diesem Abend alles auswendig dirigiert, hat es noch am besten: Sein Job lässt ihm reichlich Bewegungsfreiheit. Zudem dürfte ihn der Anblick des monumentalen Klangkörpers erwärmen, dem er diesmal vorsteht. Nachwuchs-Musiker aus Trierer Schul-Orchestern bescheren der städtischen Kapelle bei Händels "Feuerwerksmusik" eine Verdopplung des gewohnten Umfangs. Dank des guten Händchens des Generalmusikdirektors im Umgang mit den Schülern geht der quantitative Zuwachs nicht mit einem Verlust an Qualität einher, im Gegenteil: Die Schüler musizieren Händels Barock-Pop mit heiligem Ernst und sicherer Hand - zum Vergnügen der professionellen Kollegen, die sich am Ende artig bedanken. István Dénes schießt mit Blick auf die Uhr die musikalischen Feuerwerkskörper recht eilig und ohne große Sammlungspausen ab. Trotzdem wird das majestätische Spektakel lebendig, das Händel einst zum Aachener Frieden 1749 komponierte. Mit genug Fantasie lässt sich aus den roten Einsprengseln am Abendhimmel, den Kamerablitzen stolzer Familienangehöriger und dem unermüdlichen Flackern der Glühstrümpfe an den Heiz-Leuchten sogar ein Hauch optischer Feuerwerksstimmung destillieren. Dass die Hörner bisweilen recht eigenwillig intonieren, kann man mit gutem Willen schon dem Frösteln zuschreiben, das sich spätestens bei der Umbaupause für Beethovens "Pastorale" im ganzen Rund ausbreitet. Da mag der neue Dramaturg Peter Larsen in einem launigen Ansprache-Duett mit dem Dirigenten die Inspiration für Beethovens berühmte Landpartie an den Olewiger Bach verlegen: Das rechte Schäferspiel-Flair lässt sich nur mühsam erzeugen. Dabei ist das Orchester gut aufgelegt. István Dénes hat offenkundig seine Beethoven-Schwermut überwunden, die sich noch beim Trierer "Fidelio" wie Mehltau auf die Tempi gelegt hatte. Die sechste Sinfonie kommt mit gelassener Heiterkeit daher, meidet Hast ebenso wie bedeutungsschwangere Zeitlupe. Die Stimmungsbilder vom Landleben sind mit leichter Hand gezeichnet - diese "Pastorale" ist alles andere als pastoral. Sicher würde das herannahende (musikalische) Unwetter im Konzertsaal mit entsprechender Akustik noch eindringlicher wirken, aber dafür entschädigt das flimmernde Stadtpanorama, das eine imposante Konzert-Kulisse liefert. In glänzender Spiellaune präsentieren sich die lautmalerischen Holzbläser. Bei den Streichern ist dagegen irgendwann die Temperatur nicht mehr zu überhören. Wo sich das Thermometer der Einstelligkeit nähert, werden Finger klamm. Das Publikum feiert das Durchhaltevermögen auf beiden Seiten des virtuellen Grabens mit reichlich Beifall. Aber es applaudiert auch erleichtert, als Dénes nach kurzer Beratung mit seinen Musikern bekannt gibt, man werde auf die "Polowetzer Tänze" an diesem Abend denn doch lieber verzichten.

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