Im Land der Düsternis

Luxemburg · Eine ebenso selten gespielte wie schöne Verdi-Oper, eine Besetzung der internationalen Spitzenklasse, ein renommierter Star-Regisseur: Was das Grand Théâtre Luxemburg für die "Macht des Schicksals" aufbietet, sorgt für einen außergewöhnlichen Musiktheater-Genuss.

Luxemburg. Die Düsternis weicht keine Sekunde in den drei Stunden dieser Oper. Ein großer, schwarzer, leerer Raum, dahinter ein überdimensionales, noch schwärzeres Kreuz, dazu dunkelgraue Stühle als einzige Möblierung. Regisseur Michael Thalheimer hat alles Gegenständliche vollständig eliminiert, jeden Hinweis auf Ort und Zeit entfernt.
Verdis nicht unbedingt logisches Schauerdrama um Blutrache in Zeiten des Krieges wird in symbolische Szenen zerlegt, ohne reale Handlung, aber auch ohne individuelle Figurenzeichnung. Das wirkt zunächst einmal wie die Verweigerung von Regie-Arbeit. Das Liebesverhältnis zwischen Leonora aus gutem Hause und dem Halbindianer Alvaro, die unbeabsichtigte Tötung von Leonoras Vater durch Alvaro, die Rache-Schwüre ihres Bruders Carlo: Das hat in Thalheimers Umsetzung was von ungelenkem Puppentheater. Doch wenn die großen Chorszenen beginnen, wenn der Rachefeldzug auf den verschiedenen (Kriegs-) Schauplätzen beginnt, ändert sich der Eindruck schlagartig.
Der Chor wird zum lebenden Bühnenbild, in Gestalt düsterer Mönche, als blutiges Schlachten-Gemälde oder in Form einer bedrückenden Masse, die den Handelnden beobachtend auf die Pelle rückt. Plötzlich erhält die Handlung Konturen, kommt Spannung auf, entwickeln die Personen Profil. Herausragender Akteur ist dabei der Chor der Oper Antwerpen, ein enorm prägnantes, darstellerisch eindrucksvolles und musikalisch umwerfendes Kollektiv, das nicht zufällig als "Chor des Jahres" der Fachzeitschrift Opernwelt nominiert wurde.
Für alle sechs wichtigeren Rollen hat das Grand Théâtre internationale Spitzenkräfte aufgeboten. Herausragend der derzeit beste deutsche Bass, Georg Zeppenfeld, in der vergleichsweise kleinen Partie des Klostervorstehers - welch eine Luxus-Besetzung.
Ungewöhnlich differenziert und präzise singt Dimitris Tiliakos die sonst oft herausgebrüllte Rolle des rachsüchtigen "Bösewichts" Carlo.
Catherine Naglestad, an allen großen Häusern der Welt gefragt, teilt sich als Leonora ihre Kraft klug genug ein, um am Ende eine sehr bewegende, innige Interpretation der berühmten "Pace, mio dio"-Arie zu liefern.
Josef Wagner gestaltet die Figur des Kapuzinermönches Mellitone ohne aufgesetzte Komik.
Eine Schlüsselrolle erhält in Thalheimers Interpretation die Zigeunerin Preziosilla, eine Frau, die buchstäblich am Krieg irre geworden ist. Die ungarische Mezzosopranistin Viktoria Vizin gestaltet diese Partie stimmlich wie darstellerisch höchst eindrucksvoll. Mit etwas zu viel Überdruck singt Mikhail Agafonov die Hauptrolle des Alvaro - dabei hätte er das Dauer-Forte angesichts seiner souveränen Höhe gar nicht nötig.
Erik Nielsen, hoch gehandeltes Dirigenten-Talent von der Frankfurter Oper, führt die Luxemburger Philharmoniker zu einer Interpretation wie am Schnürchen: stringent, klar, zügig.
Die gewählte Petersburger Fassung der Oper mit ihrer drastisch verkürzten Ouvertüre nimmt dem Orchester zwar ein wenig Glanz, aber das wird durch die dynamische Musizierweise mehr als wettgemacht. Am Ende reichlich Jubel im gut besetzten Grand Théâtre.

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