Im Niemandsland der Nüchternheit
Trier · "Diese Tosca erlebt man am besten mit geschlossenen Augen", sagte jemand aus dem Publikum. Das ist etwas übertrieben. Immerhin: Musikalisch ist die Trierer Produktion der Puccini-Oper zweifellos ein Gewinn.
Trier. Es geht doch nichts über eine attraktive Frau auf der Opernbühne. Kaum hatte sich im Trie-rer Theater mit heftigen Nebengeräuschen der eiserne Vorhang gehoben, da steht sie im Mittelpunkt: Yannick-Muriel Noah als Tosca, im hautengen Kostüm und eleganten Pumps.
In Alexander Charims "Tosca"-Regie ist sie nicht nur die zentrale Figur, sondern soll mehr sein: die Regisseurin, die sich und andere in Szene setzt. Dabei allerdings bleibt sie ein vereinzelter Farbfleck im einförmigen Grau. Die kahlen Wände von Ivan Bazaks Einheitsbühnenbild verbreiten nichts als Nüchternheit.
Und Tosca ausgenommen spiegeln Tal Shachams Kostüme dazu etwas ausgeprägt Alltägliches. Hat da keiner gemerkt, dass sich bei solch einer Konzeption die starke Gefühlswelt dieser Oper verliert? Alexander Charim präsentiert dieses optisch, akustisch und emotional höchst farbenreiche Bühnenstück in einer tristen Schwarz-Weiß-Version. Die ganz konkrete Handlung dieser Oper, die auf einen bestimmten Ort (Rom) und ein bestimmtes Datum (17. Juni 1800) zugespitzt ist, verliert sich im blass Allgemeinen.
Sie bleibt, wo sie ist
So geht die eigentümliche Spannung der Glocken- und Hirtenjungen-Szene im dritten Akt (für die sich Puccini persönlich in Rom einen Eindruck vom realen Klangbild verschaffte) unter in der dominierenden Stimmungslosigkeit. Und den bewegenden Schluss des Musikdramas hat Charim glatt verschenkt. Statt sich mutig-verzweifelt von der Engelsburg zu stürzen, bleibt Tosca einfach, wo sie ist. "Da fehlte doch was", sagte eine theatererfahrene Besucherin.
Aber vielleicht tut es bei Opern ohnehin gut, gelegentlich die Augen zu schließen und die Ohren zu spitzen (Wagner wusste das und erfand seine schönsten Orchesterstücke zu Szenenwechseln mit geschlossenem Vorhang). Gerade wenn die Optik mal nicht ablenkt, entfaltet die Trierer Tosca ihre musikalischen Meriten. Bei Dirigent Victor Puhl geht nichts aus dem Leim, die Tempi stimmen, die Koordination Bühne-Graben funktioniert, und wenn oben jemand einen Spitzenton ein wenig länger aushält, dann ist das Philharmonische Orchester hellhörig dabei.
Das Blech trumpft im zweiten und dritten Akt heftig auf. Und doch verlässt sich die musikalische Realisierung nicht blindlings auf pralle Italianità. Bei Puhl klingt in Puccini der Debussy mit, dessen "Pelleas" etwa zeitgleich mit der "Tosca" entstand: die organische Melodieführung, die Präsenz der Holzbläser, die Flexibilität bei Klangfarben, und dazu eine Tendenz zum Beweglichen, gelegentlich fast Leichtfüßigen.
Angela Händels Opernchor gibt dazu dem "Te Deum" im ersten Akt eine bemerkenswert starke Statur mit, obwohl der Auftritt optisch die Parodie streift. Der Kinderchor Cantarella (Vera Ilieva) hält sich tapfer und ohne Ausfälle. Und bei allen Solisten sind Defizite überschaubar und Qualitäten durchweg überzeugend.
Noblesse und Tapferkeit
Für den Cavaradossi ist der Tenor von Marko Jentzsch schmal, sehr "deutsch" und in der Mittelage diffus. Und doch: Bei ihm klingen Sensibilität, Noblesse und Tapferkeit des zwangsweise politisierten Künstlers mit. Christian Sist als Polizeioffizier Scarpia verwechselt allzu oft die Bösartigkeit der Rolle mit sängerischer Lautstärke. Unnötig, denn wenn er sich tatsächlich einmal zu geschärfter Artikulation entschließt, trägt seine Stimme auch ohne vollen Einsatz. In den Nebenrollen überzeugen Laszlos Lukas (der vor 25 Jahren in Trier einen exzellenten Scarpia sang), Rainer Scheerer, Bonko Karadjov und Fritz Spengler.
Und dann die Tosca der Yannick-Muriel Noah. Es ist einfach, in der Umsetzung dieser Rolle, die von der Callas ein für allemal geprägt worden ist, Defizite auszumachen. Es mag also sein, dass Noah in der Mittellage das Legato fehlt und mit ihm der Ausdruck von Intimität und Versonnenheit, der auch zur Figur gehört.
Aber die Callas hat es vorgemacht: Nicht der Schönklang entscheidet, sondern die emotionale Stärke. Und wenn bei Noah die Tosca immer stärker in eine seelische Grenzsituation gerät, dann verblassen alle Einwände. Dann singt Noah sich aus: stark, offen, hingebungsvoll, völlig frei von aller Reserviertheit.
Nein, durch die Musik ist Puccinis "Tosca" auch in Trier ein Stück größter Gefühlskraft. Der Jubel unter den knapp 600 Besuchern galt Solisten, Chor, Orchester und Dirigent. Die Regie bekam etliche Buhs ab.
Die nächsten Aufführungen: 22., 24.,und 31. Januar; 3. und 16. Februar, 4., 11. und 13. März . Karten unter Telefon 0651/718-1818.