Im "Subtext" lauert der Inquisitor

"Invasion - TV-Weltmuster erobern den Fernsehmarkt." So furchterregend betitelt ist das Buch von Dirk Blothner, Psychologieprofessor an der Universität Köln, und Marc Conrad, Film- und Fernsehproduzent. Darin beleuchten sie die Methoden, mit denen erfolgreiche US-Serienmacher arbeiten.

(fpl) Was sehen wir eigentlich, wenn wir glotzen? Wenn Dr. Gregory House Patienten vor den Kopf stößt und Mitarbeiter demoralisiert? Wenn die "CSI"-Forensiker sich auf die Spur der Verbrecher machen? Wenn die "Desperate Housewives" durchdrehen, Jack Bauer in "24" die Nation rettet und in "Grey's Anatomy" die jungen Ärzte (schon) wieder kollektiv mit dem Schicksal hadern?

Auf jeden Fall sehen wir mehr, als uns unmittelbar auffällt, sagen Blothner und Conrad: Denn diesen Serien ist eine zweite Ebene eingebaut, die über ein streng an den Figuren ausgerichtetes Erzählen hinausgeht und nahezu "entpersonalisierte", von allen Menschen geteilte Grundkonflikte verhandelt. Diese "Wirkungsmuster" seien viel schlichter gestrickt, als die oft auf komplex getrimmten Handlungsabläufe uns suggerieren - und deshalb so erfolgreich exportierbar. Zum Beispiel die supermodernen CSI-Häscher: aus Sicht der Autoren nichts anderes als Inquisitoren, direkt aus mittelalterlichen Weltbildern in die hochtechnisierte Gegenwart katapultierte Hexenjäger, die Folge für Folge die gewünschte Ordnung zwischen Gut und Böse wiederherstellen.

Oder Jack Bauer: ein Actionheld, klar, zugleich aber "ein Symbol für die Aufgabe des Menschen, in jedem Augenblick für die miteinander streitenden Forderungen des Lebens eine praktikable Lösung zu finden" (der Unterschied zu uns: Bauer erledigt das mit Schusswaffen und Sprengladungen). Und der coole House? Ein Schamane, der die Siechen nach einigem unverständlichen Zinnober am Episoden-Ende auf nahezu magische Weise wieder heil macht.

Ein solches Muster stecke übrigens auch hinter der derzeit erfolgreichsten deutschen Fernsehserie "Um Himmels Willen" (ARD). Der "Subtext" hier: Ein Märchen - nämlich das vom Wolf und den sieben Geißlein. Allerdings fehle die dichte thematische "Textur" der US-Serien, sei das Konzept vor allem auf die handelnden Hauptfiguren beschränkt.

Soll das deutsche Fernsehen also weitere US-Klone ("R.I.S.", "Post Mortem") ins Rennen schicken? Bloß nicht, sagen die Autoren. Allerdings wünschen sie sich in der Serienentwicklung einen stärkeren Blick auf die Massenwirkung - ein laut "Invasion" allerdings für viele Fernsehmacher hierzulande aufgrund der Vergangenheit immer noch böses Wort. Auch wenn man vielleicht nicht jedem Argument zustimmen mag, das hier vorgetragen wird: Die Auseinandersetzung damit lohnt sich, denn sie schärft den Blick für Sehgewohnheiten und -erfahrungen. Gut allerdings auch, dass die Autoren um den begrenzten Wert ihrer Analyse wissen: Auch die aktuell beherrschenden Fernseh-"Weltmuster", schreiben sie, werden sich eines Tages überlebt haben. Aber dann rollt bestimmt längst schon die nächste mediale "Invasion".

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