Im Winter Sommer spüren

Wenn einer sein Orchester befeuert, dann ist das Antonio Pappano. Und nicht nur sein Orchester.

Auch sein Publikum hat keine ruhige Minute. Einfach mal Wegdösen gibt`s nicht. Selbst lyrischste Momente geraten unter dem Dirigat des Engländers mit den italienischen Wurzeln so unmittelbar und spannend, dass man gar nicht anders kann, als immer weiter hören und sehen. Denn die Konzerte des genialen Musikers, der übrigens auch ein brillianter Pianist ist, sind Erlebnisse für Augen und Ohren. Pappano lässt nicht einfach spielen. Er lebt die Musik seinem Orchester vor. Er vermittelt, dass Temperament feinste Schwingungen und hemmungslose Ausbrüche einschließt. Um das zu vergegenwärtigen war das Progamm, das der Dirigent gemeinsam mit dem Orchester der römischen Accademia Nationale di Santa Cecilia mitgebracht hatte, geradezu ideal. Und noch einen Star hatten die Musiker dabei, auch so ein Kraftbündel mit zart fühlender Seele und ebensolchen Pianistenhänden. Wie einer, der nicht zum Auftritt; sondern zur After-Work-Party unterwegs ist, sitzt Boris Berezovsky mit blauem Anzug und offenem Hemdenkragen am Flügel und spielt Franz Liszts Konzert für Klavier und Orchester Nr.1, Es-Dur. Der russische Pianist meistert das mörderische Stück nicht nur mit atemberaubender Technik, er gibt ihm seineN Geist und seine Seele zurück. Berezovskys Spiel ist ein weites Feld miteinander konkurrierender musikalischer Einfälle und Gedanken. Überbordende Kraft weicht Momenten feinster Empfindung und Klarheit.

Um den Kampf der Temperamente, aber auch um Rhythmus und Klangsinnlichkeit ging es auch in Gustav Mahlers Symphonie Nr.1 (Titan). "Alles muss singen" hat der 50jährige Pappano mal von seinen OrchesterInstrumenten gesagt. Und alles muss tanzen, wenn der "Titan" aufgeführt wird. Das Spiel der Römer war vielfarbig und voller miteinander streitender Gefühle, vorgetragen mit einer unbändigen Lust am Spiel. Angefangen hatte es mit Verdis Aida: Sinfonia. Da war noch zu hören, dass die Stärke des Orchesters bei den wunderbar leichten und behenden Streichern liegt. Sie sind in der Zugabe (Rossini, Wilhelm Tell) richtig in ihrem Element. Unten am Parkscheinautomat hängt ein Plakat mit einem Wort Albert Camus: "Mitten im Winter habe ich gemerkt, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer ist".

Besser kann man die Musik dieses Abends nicht zusammenfassen. Eva-Maria Reuther

Kurzkritik: Antonio Pappano in Luxemburg

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