Aaufgeschlagen – Neue Bücher In der Dunkelheit des Kinos: Christian Krachts „Die Toten“

„Die Toten“ ist ein Roman über Deutschland und Japan, über die Weimarer Republik und das Dritte Reich, über Moderne und Tradition, über das Kino und die Literatur. Wie bereits im Vorgänger „Imperium“ macht Kracht sich einen Spaß daraus, obskure historische Persönlichkeiten gemeinsam mit frei erfundenen Figuren und ganz großen Namen auftreten zu lassen.

Aaufgeschlagen – Neue Bücher: In der Dunkelheit des Kinos: Christian Krachts „Die Toten“
Foto: (g_kultur

Ihre Erlebnisse schwanken zwischen historischen Fakten, trügerischer Erinnerung und reiner Fiktion. Protagonisten sind der fiktive Schweizer Regisseur Emil Nägeli und der japanische Ministerialbeamte Masahiko Amakasu, der zwar wirklich existierte, aber ob er tatsächlich das hier dargestellte Genie war, das mit drei Jahren bereits Heine im Original las, ist fraglich. Masahiko hat einen Plan: Am deutschen Wesen soll der japanische Film genesen. Er möchte neben der politischen eine „zelluloidene Achse“ zwischen Japan und dem Dritten Reich herstellen, die dem amerikanischen Kulturimperialismus eine Filmkunst in deutsch-japanischer Tradition entgegenhält. Doch statt des gewünschten Fritz Lang entsendet Deutschland Emil Nägeli, um in Japan einen „Gruselfilm“ zu drehen.

Zu Beginn stellt Kracht seine Hauptfiguren abwechselnd vor, beschreibt ihre Lebensläufe, Eigenheiten und Befindlichkeiten und schildert, wie beinahe traumatische Kindheitserlebnisse sie zu genialen Vertretern ihrer jeweiligen Kultur machten. Nach Nägelis Ankunft in Japan und seiner ersten Begegnung mit Masahiko nimmt die Handlung an Fahrt auf; es kommt zu politischen und persönlichen Verwicklungen, zu Dreharbeiten und Anschlägen.

Kracht schrieb einst über Japan: „Das Land hat mich noch nie interessiert.“ Mit „Die Toten“ wühlt er nun jedoch ganz tief in Geschichte und Kultur des Landes der aufgehenden Sonne. Japanische Begriffe und Verweise auf Traditionen, die westlichen Lesern fremdartig erscheinen, stehen ganz selbstverständlich neben Hollywood-Zitaten. Krachts Stil orientiert sich bei seinen Schilderungen der dunklen Seiten des Kinos ebenso am filmischen Schreiben wie am jungen Thomas Mann. Er neigt zum ausladenden Plauderton, der sich manchmal in prätentiösen Satzungetümen verliert. Über all das legt er gewohnt virtuos eine Schicht Ironie – oder zwei oder drei? Krachts neuester Roman setzt den Trend fort, der sich schon in seinen letzten Büchern zeigte: uneindeutig, unbefriedigend – und unschlagbar.

Christian Kracht, „Die Toten“, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2016, 224 Seiten, 20 Euro.

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