Mosel Musikfestival In der Welt unterwegs und doch ganz bei sich

Bernkastel-Kues · Ein großartiger Konzertabend im Kloster Machern ermöglichte beim Mosel Musikfestival neue Einsichten in den Begriff Heimat. Die „Kreisler Story“ präsentierten Geiger Daniel Röhn und Pianist Paul Rivinius.

 Geiger Daniel Röhn und Pianist Paul Rivinius bescherten dem Publikum ein fantastisches Konzert.

Geiger Daniel Röhn und Pianist Paul Rivinius bescherten dem Publikum ein fantastisches Konzert.

Foto: TV/Eva-Maria Reuther

Das war ein Abend der Extraklasse. Nicht nur, dass mit Daniel Röhn ein fantastischer Geiger zu Gast war. Die „Kreisler Story“, die der Musiker, am Klavier begleitet von Paul Rivinius, vortrug, bestätigte neuerlich, dass Heimat nicht Ortsgebundenheit bedeutet. Beheimatet sein, erfuhren die Zuhörer dieses Konzerts im angenehm kühlen Barocksaal von Kloster Machern, heißt unterwegs in der Welt zu sein und dennoch ganz bei sich.

Fritz Kreisler, der Wiener Komponist und brillante Geiger, dessen Person und Werk im Mittelpunkt des Programms stand, hat das ein Leben lang als Person und in seiner Musik vorgemacht. Jedermann kennt den typischen Kreisler-Sound, der auch noch in der Emigration im fernen Amerika aus jedem Stück ein Wiener Lied machte. Nicht nur das: Kreisler war als Meister der Bearbeitung geradezu versessen darauf, aus fremden Kompositionen sein ganz eigenes Stück zu machen.

Was im modernen Regietheater als „Überschreibung“ firmiert, lässt sich auch in Kreislers Bearbeitungen erkennen, wie sich gleich eingangs bei den Variationen zu einem Thema von Arcangelo Corelli zeigte. Darin überführt der Komponist das barocke Funkeln in die Lebenslust der eigenen Zeit. Und auch Übervater Johann Sebastian Bach, der bekanntlich nicht nur für den lieben Gott, sondern auch für die Sinne musizierte, hätte wohl seine Freude am frischen Zugriff auf seine Gavotte aus der berühmten Partita E-Dur BWV 1006 durch den Wiener und seinen zeitgenössischen Interpreten Röhn gehabt.

Überhaupt war dieser Abend mit Kreisler-Bearbeitungen und einigen Originalwerken auch ein Ausflug in die Wirkungsgeschichte der Musik vom Barock bis ins 20. Jahrhundert und die zeitlose Gegenwart der Volksweisen, wie dem irischen Gweedore Brae. Dazu hatten die Festivalmacher den Saal neu arrangiert und die Stuhlreihen um den mittig vor der Spiegelwand aufgestellten Flügel angeordnet. In diesem intimen, fast heimeligen Klangraum war Röhns Spiel Klangrede von Seele und Geist, wie sie nicht beredter hätte sein können.

Der Geiger spielte mit einer Kraft und Dringlichkeit, die aus einem existenziellen Willen nach Ausdruck kam. Tiefe Empfindsamkeit und seelische Vitalität trafen sich dabei mit brillanter Technik. Aufs Feinste lotete Röhn in Claude Debussys später Sonate für Violine und Klavier (einem absoluten Höhepunkt des Abends) die kontrastreichen Stimmungen der Musik aus, hielt die Spannung bis zum Zerreißen und machte die Herkunft der Musik wie ihre wegweisende Bedeutung hörbar.

Überhaupt erwies sich Röhn als Meister der Transparenz, so auch in Niccolò Paganinis Caprice Nr. 20, in der aus italienischer Entrücktheit in Kreislers Bearbeitung Wiener Schmachten wurde. Nie verlor sich selbst in den mörderischsten Passagen, von denen es etliche gab (etwa die Bearbeitung von Henryk Wienawskis Caprice a-Moll oder Jenö Hubays „Zephir“), das Spiel des Geigers selbstgefällig in der eigenen Virtuosität. Auch in den gewagtesten musikalischen Hochseilakten blieben in Röhns Spiel Klarheit und eine Art kritische Vernunft durchhörbar.

Die zeichnete auch wohltuend seine Moderation aus, mit der er augenzwinkernd und ein wenig selbstironisch, aber ohne jegliche Entertainer-Allüren durchs Programm führte. Hochpräsent und einfühlsam war Paul Rivinius am Klavier dem Geiger ein dialogbereiter wie -fähiger Partner.

Apropos Heimat: Wie gefühlvoll sie einem Patrioten klingen mag, war am Beispiel von Bedrich Smetanas „Aus der Heimat“ zu erfahren. Wie bitter ihr Verlust ist, erklang in Ernst Blochs bewegendem „Nigun“.

Eins steht nach diesem eindrucksvollen Abend neuerlich fest: Musik behält nur eine Heimat, wenn, was aus anderen Zeiten überkommen ist, in jeder Gegenwart neu erworben wird. Was der stürmische Beifall im trotz Hitze gut besetzten Saal bestätigte.

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