Ausstellung Totengedenken und Mahnung für die Lebenden

Trier · In Trier erinnert die Ausstellung „1000 Tücher“ an die Opfer des Balkankrieges und ruft zum Frieden auf.

 Vernersa  Berbo singt ­Lieder über ­Verlust, Liebe und Hoffnung bei der Eröffnung der ­Ausstellung  „1000 Tücher ­gegen das ­Vergessen“, im Hintergrund die „Rolle des ­Gedenkens“.

Vernersa Berbo singt ­Lieder über ­Verlust, Liebe und Hoffnung bei der Eröffnung der ­Ausstellung „1000 Tücher ­gegen das ­Vergessen“, im Hintergrund die „Rolle des ­Gedenkens“.

Foto: Eva-Maria Reuther

„Mehmedovic Mirsad, 1969-92, Srebrenica“ steht in dem hellen, fein geränderten Stoffquadrat. Ein Quadrat weiter ist über einer zarten blauen Blume ein anderer Name eingestickt. Dazu die Lebensdaten 1975 -1992 und der Ort, wo der nicht einmal 20-Jährige zu Tode kam: Zvornik, die im Bosnienkrieg grausam umkämpfte Stadt an der Drina. Eine Halle der Erinnerung und des Mahnens ist der große Raum der Trierer Tufa. Dort  zieht sich als Ausstellung „1000 Tücher gegen das Vergessen“ das raumhohe, fast 50 Meter lange Stoffband der „Rolle des Gedenkens“ die Wände entlang. Die zahllosen Namen darauf gehören Toten des Balkankriegs seit 1991 im ehemaligen Jugoslawien.

„Warum  verstehen wir nicht, wie wichtig Frieden ist? Und warum schaffen wir es nicht, gewaltfrei zu kommunizieren?“ mahnte Oberbürgermeister Wolfram Leibe zur Eröffnung der Ausstellung, für die Ministerpräsidentin Malu Dreyer die Schirmherrschaft übernommen hat. Als stumme Zeugen verleihen die Namen der Toten an der Wand Leibes eindringlicher Mahnung Nachdruck. Dem Frieden, der Erinnerung und dem Mahnen gilt die textile Rolle und nicht zuletzt dem interkulturellen Austausch. Als bewegliches Memorial und eindringlicher Aufruf gegen  Krieg und Gewalt ist sie aus der Trauer von Frauen entstanden.

Etwa 350 000 Flüchtlinge sind nach einer Statistik des Innenministeriums seit 1991 aus dem Balkankrieg nach Deutschland gekommen, mehrere Zehntausend davon nach Berlin. Dort nimmt sich der Verein „südost Europa Kultur“ ihrer an. Im Rahmen  der Therapie- und  Trauerarbeit hat die im Westerwald lebende Schweizer Künstlerin Anna S. Brägger mit traumatisierten, aus dem Balkankrieg geflohenen Frauen, die ihre Angehörigen im Krieg verloren haben, Taschentücher bestickt. Anschließend wurden die Tücher, die Namen und Lebensdaten der Toten enthalten, zu einem riesigen Patchwork-Band zusammengefügt. Sie habe bewusst die Stickerei als vertraute, jedermann zugängliche Technik gewählt, erzählt Brägger. Vielen  Frauen hätte das Sticken geholfen, ihre Geschichte zu erzählen und sich aus der Schockstarre zu lösen, berichtete zur Eröffnung die Menschenrechtsaktivistin  und Vereinsgründerin Bosiljka Schedlich. Andere Frauen seien dabei hingegen unter der Wucht der Erinnerung zusammengebrochen.

Als Kuratorin der Ausstellung unterstrich Beate Wild vom Museum Europäischer Kulturen in Berlin, wie wichtig es sei, die Vergangenheit in der Gegenwart lebendig und präsent zu halten. Ausdrücklich nicht als Kunst sei ihr Projekt gemeint, sagt Anna Brägger im Gespräch. Gleichwohl hat die „Rolle des Gedenkens“ entschieden künstlerische Relevanz. Als bewegliches Mahnmal, das aus der gemeinsamen Bewältigung der Trauer entstand, wird das Stoffband mit seiner leichten, frühlingshaften Anmutung, seinen zarten Farben und Stickereien, zur „sozialen Plastik“. Zur Botschafterin, die Hoffnung weckt und auf zwischenmenschlichen Dialog und Versöhnung setzt. Die Gevierte der Taschentücher bilden darin kleine Schicksalsräume, deren Zeichen, Zahlen und Namen beim Betrachter gleichermaßen Empathie wie Phantasie in Bewegung setzen und die er sich zu dechiffrieren müht. „Wer war der Tote, der nicht mal drei Jahrzehnte Leben hatte“, fragt man sich. Wer der andere, der in der Hölle von Srebrenica umkam? Und was hatte die Frau mit ihm zu tun, die so zärtlich seiner mit einer kleinen Blume gedenkt.

Die „Rolle des Gedenkens“ ist ein  ungeheuer beredtes Mahnmal, das  den Betrachter gleichermaßen bei Herz und Verstand erfasst. Eingeführt in die Kriegsregion  wird er vor dem Saal durch Fotos von Nihad Nino Pušija. Zur Vernissage sang die aus dem Balkankrieg geflüchtete Berliner Schauspielerin und Musikerin Vernersa Berbo Lieder aus Bosnien, am Klavier begleitet von ihrer Tochter Amira Kellner.

Die Ausstellung in der Tufa läuft bis 26. April. Geöffnet ist sie dienstags, mittwochs und freitags von 14 bis 17 Uhr, donnerstags von 17 bis 20 Uhr und am Wochenende von 11 bis 17 Uhr. Es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm.

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