"In" und trotzdem gut

SAARBURG. Vor einem Jahr noch No-Names, jetzt dreifacher Echo-Gewinner: Die Band "Wir sind Helden" ist der Shooting-Star der deutschen Musikszene und erklärter Liebling aller Medien. Am 13. März spielen die "Helden" in der ausverkauften Saarburger Stadthalle.

Locker-kritische Texte zu eingängigem Gitarren-Pop-Punk-Rock: Damit lassen "Wir sind Helden" derzeit die deutsche Musikpresse und -szene vor sich niederknien. Für den Zeitgeist fast ungewöhnlich, dass dahinter kein marktorientiertes Kalkül - in Form geldgieriger Produzenten und Manager - steckt. Denn den vier "Helden" ist es mit Talent, Spielfreude, Selbstbewusstsein und Engagement vor gut einem Jahr gelungen, ganz ohne Plattenvertrag ihre Single "Guten Tag" in den Playlists der Radiosender zu platzieren - und kurze Zeit später in den Charts.Der Makel der Makellosen

Typisch für den deutschen Zeitgeist - der an eigentlich makellosen Aufstrebern nur zu gerne den Makel sucht - ist dagegen, dass gerade die von den jungen Musikern viel und gern beschworene Unabhängigkeit den Vieren seit Neuestem als Berechnung vorgeworfen wird.Denn in Zeiten, in denen "gecastet zu sein" einer Negativ-Brandmarke gleichkommt, ist es nämlich nicht nur Respekt hervorrufend, es "alleine geschafft zu haben", sondern eben auch "in" - und damit paradoxerweise ähnlich hämischer Kritik ausgesetzt wie das Attribut, "gecastet zu sein".Doch die "Helden" - Judith Holofernes (26, Gesang, Texte, Gitarre), Mark Tavassol (29, Bass), Jean-Michel Tourette (27, Keyboards, Gitarre) und Pola Roy (27, Schlagzeug) sind tatsächlich "echt". Auch wenn sie ihr Image bei Interviews und Fernsehauftritten sorgsam - und durch die starke Medienpräsenz der vergangenen Monate leider auch ein bisschen aufdringlich - pflegen.Ihre prompt vielzitierte Reputation, intellektuell zu sein, haben sie sich auch mit ihren der Bibel und Wissenschaft entlehnten Künstlernamen errungen: Die alttestamentarische Judith, die ihr Volk rettet, indem sie dem gegnerischen Heeresführer Holofernes den Kopf abschlägt. Gilles de la Tourette, der französische Arzt, der als erster die neuropsychiatrische Krankheit beschrieben hat, die Patienten unkontrolliert und willenlos obszöne Satzfetzen äußern und entsprechend gestikulieren lässt.Und ihre Hinterhofgeschichte - junge, arme Talente (natürlich alle bestens miteinander befreundet) machen in muffigem Probenraum im Hinterhof eines heruntergekommenen Großstadt-Stadtteils Musik aus Leidenschaft, haben damit beinahe völlig unbeabsichtigt Erfolg und werden zum Liebling aller - ist auch schon öfter erzählt worden.Dass Holofernes schon als 14-Jährige ihr Geld als Straßenmusikerin verdiente, wird dabei gerne und ständig erwähnt. Dass sie aber auch - ganz karriereorientiert - an der Prestige versprechenden, weil von Paul McCartney gegründeten, Liverpooler Schule für Musik und darstellende Kunst, eingeschrieben war, passt da nicht ganz so nahtlos ins das Bild der "Helden von unten" - und findet prompt in keinem der Unmengen Interviews der jüngeren Zeit Erwähnung.Authentisch trotz Kalkül

Aber "Wir sind Helden" sind trotzdem sympathisch: Holofernes wirkt authentisch, wenn sie in Interviews von ihrem "68er Hintergrund" erzählt. Und man nimmt der Band ihre Arglosigkeit ab, wenn sie bei der Entgegennahme ihres dritten Echos mit soziali-stisch gereckter Faust allen jungen Bands "viel Mut" wünscht, um das zu tun "was sie lieben" und nicht, "was die Plattenindustrie ihnen vorschreibt".Den "Helden" ihr Kalkül vorzuwerfen, wäre also falsch. Denn fraglos stecken hinter ihren Liedern Herz und Verstand und kein Massen-Produzent, sind ihre Texte intelligente Kritik an Konsumverhalten und Kapitalismus.Doch der Band ob ihrer optimistischen Verweigerungshaltung in musikalischer und vermarktungstechnischer Hinsicht einzigartiges und die Musikszene von ihrer Abhängigkeit erlösendes Potenzial zuzusprechen, käme einer Erhöhung gleich, der die "Helden" voraussichtlich nicht lange stand halten werden.

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