Informativ, aber unbefriedigend: Hirnforscher spricht in Echternach

Echternach · In der Reihe "Horizonte" , die sich mit der Identität des Menschen befasst, ist der Hirnforscher Wolf Singer im Trifolion in Echternach aufgetreten. Ein interessanter Abend, der das Wissen vom Gehirn erweiterte, aber den Begriff der Freiheit allzu eng abhandelte.

Echternach. Wolf Singer ist fraglos einer der interessantesten Hirnforscher - nicht allein wegen seiner Bedeutung innerhalb der Forschungsgemeinschaft. Es gelingt ihm, seine Erkenntnisse spannend und verständlich darzustellen, ohne sie zu banalisieren.
Was an dem Leiter der Abteilung für Hirnforschung am Frankfurter Max-Planck-Institut zudem fasziniert, ist die Demut vor seinem Forschungsgegenstand. Das war auch in Echternach zu erleben, wo der Wissenschaftler die Frage der Willensfreiheit aus der Sicht der Hirnforschung diskutierte. Sein Gesprächspartner war der Jurist und Autor Manfred Osten.
Komplexer als Computer


Ein weithin unbekanntes Land bleibt das Gehirn trotz aller Forschungsfortschritte bis heute. "Je mehr wir wissen, um so weniger wissen wir", berichtete Singer über die hochkomplexe Struktur in unserem Kopf mit ihren Verschaltungen, biochemischen wie physikalischen Prozessen. Im Vergleich dazu - erfuhren die 300 Zuhörer - ist ein Computer ein simples, absolut berechenbares Gerät. Er ist lediglich schneller als das menschliche Gehirn.
"Die Willensfreiheit - ein Irrtum" lautete das provakante wie hochaktuelle Thema des Abends. Fest stand sogleich, was jedermann aus eigener Erfahrung weiß: Das Gehirn steuert den Menschen. Wer vom Stuhl aufstehen will, ist darauf angewiesen, dass sein Gehirn über die Nerven die richtigen Impulse etwa an seine Muskeln weiterleitet. Im Laufe unseres Lebens speichert das Gehirn zudem unsere Wahrnehmungen und unser Wissen, vernetzt sie und versetzt uns so - salopp gesagt - in die Lage zu reflektieren, angemessen zu reagieren oder Gedanken und Dinge weiterzuentwickeln.
Das Gespräch in Echternach bestätigte: Was Menschen als Erfahrung verinnerlichen und wie sie handeln, ist weithin die Folge neurophysiologischer Vorgänge, ein kompliziertes Miteinander biochemischer Prozesse und elek-tromagnetischer Impulse.
Und doch: Trotz einer Fülle erhellender Informationen blieb der Abend unbefriedigend und die titelgebende Frage nach der Willensfreiheit letztlich unbeantwortet. Das lag an der Gesprächsführung und der begrifflichen Gemengelage. Statt Freiheit als philosophischen Begriff zu definieren, der, um sinnfällig zu werden, ein Bezugsfeld benötigt, schwelgte Goethe-Liebhaber Osten in Zitaten des Dichters zum Thema Mensch.
Was allerdings Goethe wie die Geisteswissenschaft im Sinn hatten, was aber leider fast unerwähnt blieb, war nicht der biologische Organismus, sondern das kulturell geprägte Wesen. Denn das ist der Mensch auch. Aus dieser Fähigkeit zur Kultur entstanden, was exklusiv menschlich ist, Sinngebung und daraus resultierende Wertesysteme.
Sinngebung ist überall: Im Geldschein als Symbol für einen Wert, in der roten Ampel als Zeichen für ein Haltegebot. In seiner Sinngebung ist der Mensch nicht nur frei. Sie liefert auch dem Gehirn Informationen, nach denen es seine Reaktionsmuster ausrichtet.
Genau über diesen Zusammenhang zwischen kulturellen und neurobiologischen Bedingungen hätte man sich eine viel differenziertere Diskussion gewünscht. er

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