Innige, bizarre Seelenbilder

WITTLICH. (mö) Bach, Brahms, Reger und vor allem Hermann Schroeder: Markus Becker musizierte zum Saisonstart in der Wittlicher Synagoge ein "deutsches" Programm, sogar mit moselländischem Akzent.

Hermann Schroeder, ein Komponier-Handwerker mit ausgeprägter Liebe zur Vergangenheit? Die zweite Klaviersonate von 1953 enthüllt, dass manch verbreitetes Urteil über den moselländischen Komponisten Klischee ist. In ihr überschneiden sich ein effektvoller, klangsinnlicher Klaviersatz mit einer sangbaren Melodik und einer nachgerade vorbildlichen Deutlichkeit. Markus Becker geht die Sonate zur Eröffnung des Wittlicher Konzertzyklus mit großer Energie an und trifft doch nicht immer ihren Tonfall. Der verhaltene Zug, die mitkomponierte Bescheidenheit drohen unterzugehen im pianistischen Aplomb. Nur im Finale findet Becker eine originelle Verbindung aus Brillanz und Intimität. Die ist für Schroeder wahrscheinlich charakteristischer als manche glauben.Brahms-Nähe klingt an

Auch in Bachs D-Dur-Partita BWV 828 fehlte die überlegene, die reflektierende Distanz. Aus der übergroßen Nähe zur Musik misslang, was sich mit Spielfreude und pianistischem Können allein nicht darstellen lässt: das Repräsentative der einleitenden Ouvertüre, die beschwingte Freundlichkeit von Allemande und Courante, die fließende Idyllik der Aria. Ganz anders der zweite Teil des Konzerts. Die frühe Klaviersonate Nr. 2 von Johannes Brahms - was für eine Musik! Bis hin zu den zerfallenden und verhallenden Klangfiguren am Schluss musizierte Markus Becker einen Brahms des Aufbruchs, des Experiments, der Subjektivität. Innige, gefühlsstarke, manchmal bizarre Seelenbilder. Großartig! Und der Reger zum Einstieg ins Konzert und zum Schluss: Den "Improvisationen" op. 18 gab Markus Beckers ausgefeilte, atmende Interpretation Stilvielfalt und Eigenständigkeit zugleich mit. Die drei Intermezzi op. 45a profitierten von der Brahms-Interpretation zuvor. Bei Markus Becker klingt die Brahms-Nähe dieser Musik an. Und doch profiliert er die Stücke so, dass sie alle epigonalen Züge verlieren. Max Reger ist auch in diesen Kompositionen schon ganz er selbst.

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