Theater „Show ist nichts, Seele ist alles“

Trier · Jean-Claude Berutti inszeniert Terrence McNallys „Meisterklasse“ mit Stephanie Theiß als Maria Callas.

 Interview mit Jean-Claude Berutti, Operndirektor am Trierer Theater, und Schauspielerin Stephanie Theiß.

Interview mit Jean-Claude Berutti, Operndirektor am Trierer Theater, und Schauspielerin Stephanie Theiß.

Foto: MARCO PIECUCH

„Primadonna assolutissima“ – wenn es um Maria Callas geht, scheint kein Superlativ ausreichend, das Können und Charisma der Sopranistin zu beschreiben. Dass die Griechin – nicht erst am Ende ihres Lebens und ihrer Laufbahn – eine zutiefst unglückliche Person war, als sich die Musikkritiker an ihr aus- und sie abgeschrieben hatten und die Boulevardpresse ihr Unglück genüsslich ausschlachtete, rückt oft in den Hintergrund. Der amerikanische Dramatiker Terrence McNally, der im März 2020 81-jährig nach einer Ansteckung mit dem Coronavirus starb, hat der Diva ein Stück gewidmet: „Meisterklasse“. Jean-Claude Berutti inszeniert es im Großen Haus des Trierer Theaters mit Stephanie Theiß in der Hauptrolle. Regisseur und Hauptdarstellerin beantworten Fragen zum Stück.

Herr Berutti, was hat Sie als Operndirektor an dem Schauspiel gereizt?

JEAN-CLAUDE BERUTTI Die Idee stammt von Manfred Langner: Jeder Spartenleiter sollte einmal im Nachbargarten arbeiten. So bin ich zu dieser Schauspielinszenierung gekommen. Ich hatte noch ein anderes Stück im Auge, aber ich werde Ihnen jetzt nicht verraten, welches. Zunächst war „Meisterklasse“ für mich nämlich nur ein ganz nettes amerikanisches Boulevardstück und nicht mehr, am Broadway mit großen Schauspielerinnen besetzt, um damit Geld zu verdienen. Aber als ich es dann gelesen habe, war ich begeistert. Es ist übrigens kein Stück über Maria Callas.

Stephanie Theiß: Sondern? Also das möchte ich jetzt auch mal wissen!

Berutti: Es ist wie in einem guten Theaterstück – die Figur ist nicht nur Maria Callas. Der Autor hat ihr natürlich biografische Elemente verliehen. Aber im Grunde ist es die Geschichte einer Frau, die jungen Sängern etwas beizubringen versucht. Es geht um die sehr komplizierte Beziehung zwischen Meister und Schüler. Und nach und nach erfährt man, was sie von denen will und was sie sucht.

Wie in ihren echten Meisterklassen?

Berutti: Ganz und gar nicht. Es gibt Filme über Callas‘ Meisterklassen an der New Yorker Juilliard School im Internet. Wenn man sich die anschaut – sie sagt nicht sehr viel zu ihren Schülern. Man sieht vielmehr eine „grande dame“, die hin und wieder Ratschläge gibt. Durch das Stück weht dagegen ein pädagogischer Unterton, der sich mit jedem ihrer Schüler – zwei Frauen und ein Mann – ändert. Mit einer der Frauen kommt sie absolut nicht klar; es gelingt nichts. Mit der anderen ist sie viel erfolgreicher – und am Ende doch enttäuscht. Aber ich will jetzt nicht verraten, warum. Und beim Unterricht mit dem Sänger entwickelt sich etwas, das sie sehr persönlich anspricht: Sie lernt etwas über sich selbst.

Im Stück kommt sie als Lehrerin nicht sehr sympathisch rüber ...

Berutti: Das will sie auch gar nicht. Sie hat kein Interesse, sympathisch zu sein. An einem bestimmten Punkt ihres Lebens, als sie nicht mehr singen konnte, hat sie sich entschieden zu unterrichten. Aber sie hat schnell gemerkt, dass das nichts für sie ist. Und am Ende hat ihr Unterricht nichts mehr mit Gesangsstunden zu tun, sondern mit der Frage: Was ist Kunst überhaupt? Und was will ich, was ist meine Rolle als Sängerin? Ich war selber jahrelang Lehrer, und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass irgendwann ein Punkt kommt, an dem es wirklich kompliziert wird zwischen Lehrer und Schüler. Genau das ist das Thema des Stücks. Mehr und mehr kommt dann auch Privates in den Unterricht hinein. Unter anderem werden ihre eigenen Verletzungen immer deutlicher. Dabei will sie sie gar nicht enthüllen.

Theiß: Ich kann in dieser Figur etwas spüren, was so verzweifelt, traurig und kaputt ist, dass sich daraus bestimmte Dinge ergeben. Ich kann auch verstehen, dass sie nicht erträgt, wenn jemand nur „äußerlich“ arbeitet. Show ist nichts, Seele ist alles. Sie versucht schon, zu unterrichten, aber es gelingt ihr einfach nicht. Und sie ist äußerst streng und unnachgiebig gegen sich selbst. Aber auch mit allen anderen, die auf diesem Gebiet etwas leisten wollen. Doch sie ist nun mal keine Pädagogin, sondern durch und durch eine Bühnenfrau.

Berutti: Eine Frau, die ihre Seele öffnet, um etwas mit den Wörtern und den Noten zu machen. Das ist überhaupt eine wichtige Sache in unserem Beruf – egal, ob man Regisseur, Schauspieler oder Sänger ist. Die Wörter und Noten auf dem Papier sind bloß totes Material. Die Kunst ist es, sie zum Leben zu erwecken. Die Arbeit erinnert mich an ein Bonmot von Karl Valentin: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“

Ist „Meisterklasse“ eine Tragödie oder Komödie?

Berutti: Weder – noch.

Theiß: Es kommt darauf an, wie man es spielt. Man kann es so anlegen, dass mehr gelacht wird, aber das ist nicht mein Ziel. Das fände ich zu oberflächlich.

Frau Theiß, konnten Sie Ihre Vorstellungen von der Figur verwirklichen? Waren Sie mit Ihrem Regisseur ständig einer Meinung?

Theiß: Nein, aber das muss ich auch nicht. Jean-Claude und ich verstehen uns sehr gut; wir haben uns gegenseitig inspiriert. Vor allem macht er eines nicht, was ich absolut nicht leiden kann: Er spielt mir meine Rolle nicht vor. Er lässt mir die Freiheit, sie zu finden. Wie sollte ich sonst meinen eigenen Ton entwickeln?

Warum hat Maria Callas, wenn es sie nicht interessierte, überhaupt unterrichtet? Finanzielle Probleme dürften es kaum gewesen sein.

Theiß: Nachdem Aristoteles Onassis eine andere geheiratet hat und ihr Leben quasi in Trümmern lag, hat sie ihm zeigen wollen, dass sie selbstständig genug ist, um ohne ihn zu leben. Aber was kann man als Sängerin machen, wenn die Stimme verbraucht ist? Man unterrichtet, führt Regie …

Berutti: „Die sizilianische Vesper“ von Giuseppe Verdi, 1973 in Turin …

Theiß: … dreht einen Film – „Medea“ mit Pier Paolo Pasolini –, aber all diese Ausflüge sind schrecklich schiefgegangen. Denn sie ist im Grunde nur eines – Sängerin.

Berutti: Maria Callas ist ein Bühnentier, und im Stück merkt man, wie sehr sie die Bühne vermisst.

 Interview mit Jean-Claude Berutti, Operndirektor am Trierer Theater, und Schauspielerin Stephanie Theiß

Interview mit Jean-Claude Berutti, Operndirektor am Trierer Theater, und Schauspielerin Stephanie Theiß

Foto: MARCO PIECUCH

Premiere ist am Samstag, 11. September, 19.30 Uhr, im Großen Haus; Karten unter 0651 / 718-1818.

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