Interview „Disney hat ‚Star Wars’ gegen die Wand gefahren“

Interview | Saarbrücken · Der „Star Wars“-Kenner über die „Krieg der Sterne“-Saga, den Hass mancher Fans auf den Ur-Vater George Lucas und zu wenig frische Ideen.

     Der Autor Jörg Petersen, „Star Wars“-Fan, -Kenner und -Kritiker.  Foto: Petersen

Der Autor Jörg Petersen, „Star Wars“-Fan, -Kenner und -Kritiker. Foto: Petersen

Foto: Petersen

1977 begann die „Star Wars“-Saga mit einem mittelgroßen Film namens „Krieg der Sterne“, dessen kolossaler Erfolg fast jeden überraschte. Ein Dutzend Kinofilme und einige Serien später ist „Star Wars“ ein Milliarden-Unternehmen des Disney-Konzerns. Autor Jörg Petersen hat ein Buch über „Star Wars“ geschrieben: über die kulturellen Einflüsse und die Ideen des nicht bei allen Fans beliebten Ur-Vaters George Lucas. Wir haben mit Petersen gesprochen – auch über das, was ihm heute bei „Star Wars“ missfällt.

Bevor wir zu Ihrem Buch kommen – wie sehen Sie die aktuelle Situation des „Star Wars“-Universums? Auch als alter Fan habe ich zuletzt etwas den Überblick verloren, bei immer neuen Serien auf Disney+ und vielen angekündigten, teilweise wieder abgesagten Kinofilmen.

PETERSEN Es ist in der Tat schwer, den Überblick zu behalten. Das war auch ein Problem beim Abgabetermin – plötzlich kam noch eine Serie heraus, und noch eine und noch eine...

Disney hat dem Original-Schöpfer George Lucas 2012 seine Firma Lucasfilm und die Rechte an „Stars Wars“ abgekauft – für vier Milliarden Dollar. Melkt der Konzern diese galaktische Kuh jetzt gnadenlos, um die Investitionen wieder hereinzuholen?

PETERSEN Da habe ich eine denkbar kritische Einstellung – Disney hat „Star Wars“ sehr schnell vor die Wand gefahren. Zumindest qualitätsmäßig. Man konzentriert sich ja momentan auf den eigenen Streamingkanal, wo viele neue Serien laufen. Außer „Obi Wan Kenobi“ hat mich davon nichts wirklich überzeugt, auch der vielgelobte „The Mandalorian“ nicht.

Was gefällt Ihnen nicht?

PETERSEN Diese Serien, insbesondere „Das Buch von Boba Fett“, beziehen sich stark auf alte, bereits bekannte Figuren und bieten in erster Linie das, was man „Fan Service“ nennt. Es fehlt ein kreativer Kopf wie früher George Lucas. Bei Disney haben die Geschäftemacher das Sagen. Daher ist es nur logisch, dass sie für die Fortsetzungs-Trilogie zweimal einen routinierten Profi wie JJ Abrams verpflichtet haben. Diese Trilogie war nichts anderes als ein Wiederkäuen der alten Filme. Man kann nur hoffen, dass doch noch ein kreativer Mensch seine Chance bekommt. Denn „Star Wars“ hat bestimmt mehr Planeten, Schauplätze und Figuren zu bieten, als wir bisher kennen. Vielleicht gelingt das ja Taika Waititi, der ebenfalls an einem Film schreibt – er will, sagt er, einen Schritt nach vorne gehen. Das wäre die einzig sinnvolle Richtung

Sie haben ein Buch über „Star Wars“ geschrieben – da gibt es ja eigentlich schon sehr viele.

 Das Cover des Buchs von Jörg Petersen.

Das Cover des Buchs von Jörg Petersen.

Foto: Emmerich Books & Media

PETERSEN Ja, es gibt mittlerweile eine Flut an „Star Wars“-Büchern, auch ein paar Analysen und Interpretationen. Aber kein Buch, das die kulturellen Hintergründe umfassend erläutert. Diese Lücke wollte ich schließen. Ich sehe „Star Wars“ als einen Diamanten, der in den unterschiedlichsten Farben funkelt, viele verschiedene Facetten hat. Deshalb gehen die Meinungen der Fans auch so weit auseinander, was sie an „Star Wars“ lieben – für manche sind es die Raumschlachten, für andere die Science-Fiction, für wieder andere das Märchenhafte. Ich habe versucht, die wichtigsten Einflüsse aus Kultur, Religion, Gesellschaft und Politik aufzuschlüsseln. Und biete zahlreiche Fakten, die es in den landläufigen Büchern nicht gibt.

Zum Beispiel?

PETERSEN Dass Lucas sich bei Tolkiens „Der Herr der Ringe“-Büchern bedient hat, wie auch beim japanischen Regisseur Akira Kurosawa und bei Frank Herberts „Wüstenplanet“-Romanen, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass er in den späten 60ern und frühen 70ern die deutsche SF-Serie „Perry Rhodan“ gelesen hat – die Hefte wurden damals auch in den USA verlegt. Lucas war immer schon Comic- und Science-Fiction-Fan, hat sich die Hefte gekauft und später zugegeben, dass ihn die Raumschiffe darin inspiriert haben. Außerdem bin ich auf den Defa-Film „Der schweigende Stern“ von 1960 aus der DDR gestoßen, in dem ein kleiner Roboter gegen einen Astronauten Schach spielt – ähnlich wie ein paar Jahre später R2-D2 im ersten „Krieg der Sterne“. Ob Lucas den Film gekannt hat, kann ich nicht sagen, aber es ist durchaus wahrscheinlich. Eine Figur wie der zottelige Chewbacca taucht bereits 1879 in Gustav Dorés Bilder-Serie „Orlando Furioso“ auf. Man kann also davon ausgehen, dass Lucas – oder jemand aus seinem Team – dieses Motiv gekannt hat.

Wie hat Lucas sich die mystische „Macht“ zusammengebaut, die das Universum zusammenhält?

PETERSEN Er hat sich da bei den Weltreligionen bedient, bei taoistischen, buddhistischen, hinduistischen Elementen. Dass Yoda fast so wie Yoga heiß, ist sicher kein Zufall. Vieles kommt auch aus der New-Age-Bewegung, die ebenfalls viele fernöstliche Einflüsse aufweist.

Und die politischen Analogien?

PETERSEN Der böse Imperator ist eine Anspielung auf US-Präsident Richard Nixon. Wie viele Liberale hatte Lucas Angst, dass Nixon in seiner Amtszeit eine Diktatur errichten würde. Das hat er auf das Imperium projiziert. Der Kampf der kleinen Ewoks gegen diese Supermacht verweist wiederum auf den Vietnamkrieg – mit den USA als Imperium. Den planetenzerstörenden „Todesstern“ kann man als Symbol für die Atombombe sehen. Das wird im 2016er Kinofilm „Rogue One“ auf die Spitze getrieben: Der Satz „Oh, das ist wunderschön“ des Todesstern-Kommandanten geht auf Augenzeugenaussagen bei den ersten Atombombentests zurück. „Star Wars“ ist ein riesiger Flickenteppich aus Zitaten. Darin liegt vielleicht die unbewusste Faszination – man erkennt vieles wieder, auch wenn es verwandelt oder ästhetisiert wurde.

Ist George Lucas nun ein Genie, was das Verbinden von Versatzstücken angeht – oder hatte er einfach Glück, dass er den Zeitgeist so punktgenau getroffen hat?

PETERSEN Ob das so zielsicher war oder eher unbewusst geschehen ist, weiß ich nicht. Lucas aber war ein Kind seiner Zeit und damit auch des postmodernen Zeitgeists, der gerade in den 60ern und 70ern florierte. Er ist mit Comics und mit viel Fernsehen aufgewachsen. Alle Genres der Unterhaltungsindustrie waren ihm vertraut. Und er hat dann sein Publikum dort abgeholt, wo es vom Medienkonsum her stand. Das hat er sehr kreativ und originell gemacht. Er selbst sagt, dass er einen neuen Mythos erschaffen wollte und gar nicht so starke kommerzielle Absichten hatte, wie ihm Kritiker häufig vorwerfen. Lucas wollte den Filmen seiner Zeit, dem Pessimismus und grimmigen Realismus des „New Hollywood“, etwas Optimistisches, Positives entgegensetzen. Das ist ihm meiner Meinung nach perfekt gelungen.

Sie schreiben auch von der Kastrationsangst als ein Leitmotiv der Filme.

PETERSEN Bei den Lichtschwertduellen werden tatsächlich gerne die Hände abgehackt. Folgt man Sigmund Freud, so ist das Abtrennen von Extremitäten als Kastration zu deuten, Stichwort: Phallussymbol. Bei „Star Wars“ wird dadurch auch die Entthronung des Vaters symbolisiert, wie ich in meinem Buch ausführe. Biografisch weiß man, dass George Lucas unter einem strengen Vater gelitten hat – wer weiß, ob sich da in den Filmen eigene Konflikte widerspiegeln? Ansonsten birgt die Sache mit der Kastration Parallelen zur griechischen Mythologie, die ebenfalls als Blaupause gedient haben mag.

Wie war Ihr erster Kontakt zu „Star Wars“? Sie sind Jahrgang 1974, als der erste Film in den deutschen Kinos lief, waren sie vier Jahre alt.

PETERSEN Ich habe die ersten Filme relativ spät gesehen. Meine Schwester, die acht Jahre älter ist als ich, hatte 1980 bereits „Das Imperium schlägt zurück“ geschaut und mir davon vorgeschwärmt. Ich habe dann die Spielzeugfiguren entdeckt, die Comics und den „Gong“-Fotoroman gelesen, auch die Filmmusik gehört – ohne die Filme je gesehen zu haben. Den ersten Teil sah ich erst bei einer Wiederaufführung. Bis dahin hatte ich ihn mir bereits vollständig im Kopf ausgemalt, dank zahlreicher Sekundärquellen.

War der tatsächliche Film dann eine Enttäuschung?

PETERSEN Nein, gar nicht. Umgehauen haben mich zum Beispiel immer noch die Soundeffekte – das Atmen von Darth Vader, das Brummen der Laserschwerter und so weiter.

George Lucas selbst hat nach der ersten Trilogie (1977-1983) eine zweite geschrieben und inszeniert (1999-2005). Kommerziell erfolgreich, doch von der Kritik verrissen – und auch viele Fans mögen diese Trilogie nicht, werfen ihr flache Dialoge und Spannungslosigkeit vor. Wie ist Ihre Position?

PETERSEN Ich gehöre da einer Minderheit an: Ich fand die Prequels schon damals nicht so schlecht, wie sie gemacht wurden. Die Fans, die mit der ersten Trilogie aufwuchsen, zogen teilweise sehr hämisch über die Filme her. Aber da hat man Lucas unrecht getan – er kündigte bereits früh an, dass darin viel über Politik gesprochen wird. Er hatte eine Art machiavellistische Trilogie im Sinn, mit Ränken und Intrigen. Heute werden die Prequels ein wenig gnädiger betrachtet, auch weil die Sequels ebenfalls ihre Schwächen haben. Meines Erachtens sogar deutlich mehr als die Prequels. Ich gebe jedoch zu, dass sich George Lucas besser Co-Autoren hätte suchen sollen, wie bei den ersten Filmen. Denn Dialoge sind wirklich nicht seine Stärke.

Lucas hat an den ersten drei Filmen in immer neuen Heimkino-Fassungen Szenen verändert, neue hinein genommen, Effekte überarbeitet – gegen den Protest vieler Fans.

PETERSEN Ja, dafür wird er regelrecht gehasst. Aus der Perspektive eines Künstlers kann ich ihn allerdings verstehen. Wenn man sich eigene Werke nach zehn Jahren nochmal anschaut, erschrickt man manchmal und würde da gerne erneut rangehen. Lucas hatte die Möglichkeit dazu und er hat sie genutzt. Wie übrigens auch Hergé, der seinen „Tim und Struppi“ im Laufe der Jahre ebenfalls immer wieder überarbeitet hat. Neu ist das also nicht. Problematisch finde ich eher, dass Lucas sagte, er hoffe, die allererste Fassung, die es nur noch auf alten Videocassetten und antiken Filmkopien gibt, sei irgendwann nicht mehr abspielbar. Das fände ich schade. Ich fände es besser, wenn man sich alle Versionen anschauen und miteinander vergleichen könnte. Lucas spekuliert wohl darauf, dass die Originalfassung irgendwann aus dem kollektiven Bewusstsein verschwindet. Keine sehr souveräne Haltung.

Das wirft die alte Frage auf: Gehört das Werk irgendwann eher dem Publikum als dem Künstler oder der Künstlerin?

PETERSEN Sicher, „Star Wars“ ist mittlerweile eine Art Mythos, dessen Strahlkraft den Schöpfer weit übertrifft. Ein Kulturgut, das uns allen gehört.

Ein Schlüsselsatz in Ihrem Buch ist, dass George Lucas sich für seine Filme kulturell überall bedient hat – aber dass sich die aktuellen Disney-Filme und -Serien sich nur noch bei „Star Wars“ selbst bedienen. Ein sehr enger Referenzrahmen, oder?

PETERSEN Fairerweise muss man sagen, dass dies ein generelles Phänomen unserer Zeit ist. Es wimmelt nur so von Fortsetzungen, Neuverfilmungen, Reboots etc. – ein ständiges Anzapfen des kollektiven Gedächtnisses. Man versucht immer wieder, aus den alten Schläuchen neuen Wein zu keltern. Es gibt kaum etwas Neues. Das ganze Blockbuster-Kino, das in den 1970ern und 1980ern durchaus eine innovative Note hatte, steckt heute in einer Sackgasse. Damals haben Streifen wie „Der weiße Hai“ und „Star Wars“ das „New Hollywood“ abgelöst – spätestens heute hat sich dieses Kino totgelaufen. Es müsste ebenfalls von etwas anderem abgelöst werden. Nehmen Sie die Kinojahre 1950 bis 1980 – welche Stile sich da entwickelt haben, was neu erfunden wurde. Heute ist nur noch Stillstand, es wird alles wieder aufgewärmt. Natürlich aus finanziellen Gründen – man will ja Geld generieren. Da fehlt ein schöpferischer Impuls. Jemand müsste den gordischen Knoten zerschlagen und etwas Neues in Gang setzen.

Symbol für dieses Immergleiche und eine Einheits-Ästhetik sind vor allem die Superheldenfilme der Marvel Studios – wie ist Ihr Blick auf diese Produktionen?

PETERSEN Die, die ich gesehen habe, fand ich redundant und langweilig. Vielleicht ist ja tatsächlich alles schon mal erzählt worden, wie postmoderne Theoretiker behaupten. Nur: Das hat man bereits in den 60er, 70er, 80er Jahren gesagt – und dann gab es doch immer noch etwas zu erzählen.

Nach 40 Jahren Leben mit „Star Wars“ – was ist für Sie das Schönste und das Schrecklichste daran?

PETERSEN Als 2012 neue Filme angekündigt wurden, war die Freude erstmal groß. Als es dann aber hieß, die würden im Zwei-Jahres-Rhythmus erscheinen, war ich skeptisch. Denn das ließ Schnellschüsse befürchten – und das hat sich leider bewahrheitet. Deswegen ist es zwar schön, dass „Star Wars“ noch existiert. Zugleich aber auch schrecklich, weil so viel schlechtes Material darunter ist. Vielleicht befinden wir uns gerade an einem Wendepunkt, an dem Disney „Star Wars“ entweder endgültig aufs Abstellgleis befördert oder ihm einen guten Neustart ermöglicht. Dann würde das Schöne das Schreckliche doch noch überwiegen.

Lange ist’s her – eine Szene aus „Das Imperium schlägt zurück“ von 1980, mit David Prowse (Darsteller) und James Earl Jones (Stimme im Original) als Erzschurke Darth Vader. Der zweite „Star Wars“-Film gilt bei vielen Fans als bester, weil er persönliches Drama und Science-Fiction gelungen miteinander verbindet.

Lange ist’s her – eine Szene aus „Das Imperium schlägt zurück“ von 1980, mit David Prowse (Darsteller) und James Earl Jones (Stimme im Original) als Erzschurke Darth Vader. Der zweite „Star Wars“-Film gilt bei vielen Fans als bester, weil er persönliches Drama und Science-Fiction gelungen miteinander verbindet.

Foto: lucasfilm
  Die Serie „The Mandalorian“ (mit Pedro Pascal unter dem Helm) läuft als Streaming bei Disney+, mit bisher drei Staffeln.

Die Serie „The Mandalorian“ (mit Pedro Pascal unter dem Helm) läuft als Streaming bei Disney+, mit bisher drei Staffeln.

Foto: Lucasfilm Ltd.

Jörg Petersen: In einer Galaxie – weit, weit entfernt... Realkulturelle Hintergründe des „Star Wars“-Phänomens. Emmerich Books & Media, 288 Seiten, 14,95 Euro (Print), 4,95 (Kindle). www.emmerich-books-media.de

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