Irgendwo im Nirgendwo

ESCH/ALZETTE. Großes Schauspieler-Theater und die Wiederbegegnung mit einem erstaunlichen Stück bringt Peter Zadeks Inszenierung von "Der bittere Honig", die derzeit in der Kulturfabrik Esch gastiert.

Ein Kultstück aus den Arbeiter-Slums im England der späten 50er- Jahre, 1961 als Meilenstein des neuen britischen Kinos verfilmt, später dann derart vergessen, dass es nicht einmal im Harenberg-Schauspielführer auftaucht: Hat es irgend einen Sinn, diesen "Bitteren Honig" anno 2007 wieder auf die Bühne zu bringen? Peter Zadek braucht keine fünf Minuten, um diese Frage zu beantworten. Es reicht das erste Wortgefecht zwischen der 17-jährigen Jo und ihrer Mutter Helen - der Auftakt zu einem dreistündigen tragikomischen Kampf zwischen dem Selbstbehauptungswillen der Tochter und dem monströsen Ego der Mutter, deren geografischer und beziehungstechnischer Wandertrieb das Duo seit Jahren ruhelos durch die Lande ziehen lässt. Da offenbart sich (in der Übersetzung von Elisabeth Plessen) eine gewitzte, kraftvolle Sprache, sprühende Dialoge, bei denen niemand eine Antwort schuldig bleibt. Ein irrer Balanceakt im Bermuda-Dreieck zwischen Ernsthaftigkeit, Ironie und Zynismus, von dem man kaum glauben kann, dass die Autorin zu dem Zeitpunkt, als sie das Stück schrieb, eine 18-jährige Verkäuferin ohne jede literarische Erfahrung war. Zu Beginn des Stückes sind Jo und Helen wieder einmal irgendwo im Nirgendwo angekommen, in einer Bruchbude mit Abtritt auf dem Hof, nackter Glühbirne an der Decke und einem Teppich, der nie ausgerollt wird. Ein Dach über dem Kopf ist noch kein Zuhause, das zeigt Karl Kneidls knappes, aber prägnantes Bühnenbild. Die Mutter verkrümelt sich in die Ehe mit dem reichen Halbweltler Peter Smith, Jo bekommt ein ungewolltes, ja gehasstes Kind von einem Matrosen, der sie verlässt. Der schwule Geoffrey kümmert sich um sie, aber eine Beziehung kommt nicht zu Stande. Die Hassliebe zwischen Mutter und Tochter sorgt immer wieder für heftige Ausbrüche, aber Auswege zeigt das Stück nicht auf. Am Ende bleibt mehr Bitternis als Honigsüße. Zadek erzählt das als großes, grandioses Schauspieler-Theater, mit dem Mut zur Übertreibung, bisweilen auch zur Sentimentalität. Aber es wird nicht zuckrig, höchstens mal auf skurrile Weise rührend. Jo's Elend wird nicht beschönigt, aber fröhlich konterkariert durch eine Art Boulevard-Theater im Prekariatsmilieu. Altmodisch? Vielleicht. Aber definitiv nicht unzeitgemäß. Der eiserne Wille der Eltern, um jeden Preis ihr Leben zu leben, und die Unschlüssigkeit der Kinder, was sie mit dem ihren überhaupt anfangen sollen: Das Thema ist brandaktuell. Angenehm altmodisch ist jedenfalls, das Zadek sich mit Haut und Haaren auf das Stück, den Text und seine Akteure einlässt. Da wird weder konstruiert noch dekonstruiert, da wird gespielt, dass einem das Herz aufgeht. Eva Mattes als Schlampe mit Niveau, gepanzert gegen (fast) alle Gefühlsregungen, lustvoll die Register praller Darstellungskunst ziehend. Dagegen anzuspielen, wenn man selbst nicht mehr zeigen darf als Lebens-Frust, ist ein Kunststück. Julia Jentsch zeigt grandios die Macht der Schwäche, die Unbeugsamkeit der Resignation. Für die boulevardesken Elemente sorgt gekonnt Uwe Bohm als Peter Smith, der so beabsichtigt-grauslich daherwienert, als wolle Bully Herbig Tatort-Inspektor Marek, Gott hab' ihn selig, persiflieren. Die nachdenklichen, bisweilen poetischen Momente liegen bei Oliver Urbanski und Ronald Zehrfeld als Jo's Freunde in besten Händen. Bei der Live-Barmusik von Charly Wesseler erlaubt sich Zadek dann doch einen kleinen, gelungen Ausflug in den angestaubten Charme der 50er-Jahre. Am Ende großer Beifall. Vorstellung heute, Freitag, um 20 Uhr. Offiziell ausverkauft, Karten eventuell noch an der Abendkasse. Info: 00352/26441270.

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