Aufgeschlagen – Neue Bücher Irrungen und Wirrungen

München, fünf Jahre nach Kriegsende. Karl Wieners, der seine Frau und seine Kinder verloren hat, ist in seine Heimatstadt zurückgekehrt, wo dem desillusionierten Schriftsteller eine Arbeit als Journalist angeboten wird.

 Die man im Dunkeln nicht sieht

Die man im Dunkeln nicht sieht

Foto: Scherz Verlag

Bald ist er einem veritablen Scoop auf der Spur: Es geht um Raubkunst aus dem Führerbunker, deren Spur sich irgendwo in München und Umgebung verliert.

Bei seinen Recherchen trifft Wieners einen alten Schulfreund wieder. Kriminalkommissar Ludwig Gruber ermittelt gerade in einem Mordfall, der auf mysteriöse Weise mit dem Kunstraub zusammenzuhängen scheint. Die Dritte im Bunde ist Magda, Wieners Nichte, die in ihrem Onkel mehr sieht als eben nur den Onkel, aber auch sonst kein Kind von Traurigkeit ist, was ihre Männerfreundschaften angeht. Zudem ist sie in nicht ganz koschere Schwarzmarktgeschäfte verwickelt, die ihr einen recht passablen Lebensstandard garantieren …

Es ist eine etwas wirre Geschichte, die Andreas Götz in „Die im Dunkeln sieht man nicht“ ausbreitet. Etikettiert als Kriminalroman, ist die umfangreiche Erzählung mehr noch ein Sittengemälde einer Zeit (und einer Stadt), der die moralischen Maßstäbe ziemlich abhanden gekommen sind. Jeder ist irgendwie darauf bedacht, seine Schäfchen – beziehungsweise das, was davon übrig geblieben ist – ins Trockene zu bringen. Die Zeit ist aus den Fugen geraten, und die Menschen sind es irgendwie auch. Der Einzige, der Probleme mit dieser Haltung hat, ist eben Wieners, der bei seinen Recherchen die sonderbarsten – und , wie sich herausstellt, nicht ganz ungefährliche – Zeitgenossen trifft. Einer von ihnen ist ebenfalls hinter dem mysteriösen Kunstschatz her und hat bereits einen potenziellen Käufer an der Hand – einen Amerikaner, den die Nachkriegswirren nach Bayern gespült haben.

Wer sind die Guten, wer die Bösen? Diese Kategorien scheinen in eben diesen Nachkriegswirren nicht mehr gültig zu sein; zumindest fließen die Grenzen ständig ineinander über. Im Laufe seiner Recherchen stellt Wieners fest, dass er im Grunde niemandem trauen kann – seinem alten Kumpel bei der Polizei nicht, nicht den Menschen, die ihn vermeintlich unterstützen wollen, und selbst nicht seiner Nichte, die, bei aller Liebe zum Onkel, ihr eigenes Süppchen kocht.

Zumindest die Nachkriegsstimmung in der Metropole, die von resigniert-desolat bis gedämpft hoffnungsfroh reicht, vermag der Autor anschaulich zu schildern. Bei der Vielzahl von Akteuren jedoch verliert sich der rote Faden der Handlung, wenn der Leser ihn dann mal zu fassen bekommt, relativ schnell wieder in den Trümmern der Stadt.
Rainer Nolden


Andreas Götz, „Die im Dunkeln sieht man nicht“, Scherz Verlag, 443 Seiten, 16,99 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort