Ist das Kunst oder kann das weg?

Trier · Kulturkrieg im Kulturstaat Deutschland: Seit die Kommunen zunehmend verarmen, stehen immer öfter Theater, Museen und andere Kunst-Einrichtungen zur Disposition. Die Kultur unterhält zu viele teure Institutionen, sagen die einen. Gerade in schlechten Zeiten darf man an der Kultur nicht sparen, sagen die andern. Zwei der wichtigsten Köpfe der bundesweiten Debatte kommen zum Streitgespräch nach Trier.

 Das Theater Trier steht vor großen Herausforderungen.

Das Theater Trier steht vor großen Herausforderungen.

Foto: Frank Göbel

Keine Woche, in der nicht eine renommierte Kultureinrichtung in die Diskussion gerät. Keine Woche ohne Unterschriftenlisten für den Erhalt eines Theaters, Museums oder Orchesters. Es brennt vor allem da, wo die Kommunen Träger der Einrichtungen sind. Die großen Staatstheater und -museen, meist in Landes- oder Bundeshand, müssen zwar auch sparen, aber von einem hohen finanziellen Niveau aus. Und an die Renommierhäuser etwa der Landeshauptstädte traut sich kaum jemand heran.TV-Forum Zukunft der Kultur

 Jörg Jung ist freier Journalist in Köln und gehört zu den Gründern der Initiative "Mut zur Kultur". Ihr von vielen Bürgern unterstützter Protest verhinderte den Abriss des Kölner Schauspielhauses und zwang die Kommunalpolitiker, stärker auf Kulturinteressen Rücksicht zu nehmen.

Jörg Jung ist freier Journalist in Köln und gehört zu den Gründern der Initiative "Mut zur Kultur". Ihr von vielen Bürgern unterstützter Protest verhinderte den Abriss des Kölner Schauspielhauses und zwang die Kommunalpolitiker, stärker auf Kulturinteressen Rücksicht zu nehmen.

Foto: Privat
 Dieter Haselbach ist Soziologie-Professor und Unternehmensberater mit Fachgebiet öffentliche Kulturbetriebe in Berlin. Als Mitautor des heftig diskutierten Buches "Der Kulturinfarkt" gehört er zu den führenden Köpfen aus der Kulturszene, die für eine Neuorientierung plädieren.

Dieter Haselbach ist Soziologie-Professor und Unternehmensberater mit Fachgebiet öffentliche Kulturbetriebe in Berlin. Als Mitautor des heftig diskutierten Buches "Der Kulturinfarkt" gehört er zu den führenden Köpfen aus der Kulturszene, die für eine Neuorientierung plädieren.

Foto: Dieter Lintz

Bei den "Kleinen" geht es dagegen schnell an die Existenz. Der Druck ist groß: Wenn Gemeinden Schulen schließen müssen und die Reparaturen von Straßen nicht mehr bezahlen können, bröckelt auch der Konsens zum Erhalt aufwändiger Kultureinrichtungen - und ein Theater etwa ist immer aufwändig, selbst wenn es auf kleinster Flamme finanziert wird.
Daraus resultieren zwei unterschiedliche Positionen. Muss die Kultur sich verstärkt selbst in Frage stellen, vor allem ihre Institutionen? Oder braucht es gerade in Zeiten knappen Geldes feste Strukturen? Muss die Kultur sich am Markt orientieren und ihren "Nutzwert" nachweisen? Oder ist der Gesellschaft mit Freiräumen zum Reflektieren und Nachdenken mehr gedient?

Professor Dieter Haselbach plädiert dafür, die Subventionen im Kulturbereich umzuverteilen. Die Hälfte aller Großinstitutionen will er schließen, die Mittel lieber dafür verwenden, freie, projektorientierte Kultur zu fördern. Oder Kinder und Jugendliche mit dem Rüstzeug zu versehen, sich Kultur selbst anzueignen.
Er fordert, dass die kulturellen Infrastrukturen mit den veränderten Bedürfnissen und Erwartungen des Publikums im Internet-Zeitalter in Einklang gebracht werden. Die öffentliche Hand sollte verstärkt Orte und Gelegenheiten zur Verfügung stellen, an denen sich Kultur entfalten kann, statt die komplette Kultur-Produktion zu bezahlen.

Haselbach hält nichts davon, die Kultur aus den freiwilligen Ausgaben herauszulösen und als Pflichtaufgabe von Staat und Kommunen zu deklarieren. Dadurch ändere sich an den Finanzlöchern bei der öffentlichen Hand nicht das Geringste. Und den Kommunen werde die Möglichkeit genommen, selbst zu entscheiden, wie viel Gewicht man der Kultur beimisst.

Den Kulturmachern hält der Unternehmensberater vor, sie seien "extrem auf Wachstum einstellt". Dabei sei es normal, dass gesellschaftliche Bereiche auch mal zurückgefahren werden könnten.

Haselbach erwartet vom Kultursektor, dass er sich verstärkt dem Markt öffnet. Die öffentliche Hand soll sich auf Anschubfinanzierung konzentrieren und damit gezielt auch Angebote für Minderheiten unterstützen - aber nicht als Dauerfinanzier.

Jörg Jung hält starke kulturelle Institutionen mit einer sicheren öffentlichen Finanzierung für unverzichtbar. Sie seien als "Diskurs-Buden" wichtig für eine Selbstverständigung der Gesellschaft. Das "Um-die-Ecke-denken", das die Kultur leiste, sei harte, aber notwendige Arbeit.

Theater, Museen und Orchester im Lande seien, sagt Jung, längst dabei, engagiert und kreativ nach neuen Wegen zu suchen und Fehlentwicklungen bei den Strukturen zu korrigieren. Aber die Auseinandersetzung mit Kultur etwa über das Internet könne niemals das Live-Erlebnis ersetzen. Kultur sei "nur im körperlichen Gegenüber" mit einem Bild im Museum oder einer Aufführung im Theater erfassbar.

Jung spricht sich nachdrücklich für eine Verankerung der Kultur als öffentliche Pflichtaufgabe aus. Dass sie freiwillig sei, treibe die Kommunalpolitiker in die Not, weil die Kultur dadurch mit anderen freiwilligen Aufgaben wie Sportförderung oder Straßenbau konkurriere.

Die Forderung der Mitarbeiter in öffentlichen Kultureinrichtungen nach Lohnzuwächsen und damit nach einer Erhöhung der Budgets hält der Journalist für legitim. Kulturarbeitern stünde das Gleiche zu wie jedem normalen Arbeitnehmer.

Den Markt als entscheidende Bezugsgröße für Kultur lehnt Jörg Jung ab. Kultur habe "eine andere Aufgabe, als für Unterhaltung und Glücksempfinden zu sorgen". Gerade die zeitgemäße Beschäftigung mit den Klassikern und deren Antwort auf elementare Fragen sei wichtig.

Das Streitgespräch mit Professor Dieter Haselbach und Jörg Jung findet am Montag, 11. November, um 19 Uhr im IHK Konferenzzentrum in Trier (Herzogenbuscher Straße) statt. In einer zweiten Runde kommen Trierer Akteure hinzu. DiL

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