Jeder bleibt für sich allein

Trier · Mit einem hochaktuellen Thema setzt sich Urs Dietrich in seiner ersten Produktion für das Theater Trier eindrucksvoll auseinander. Der Mensch und seine Existenz zwischen Gewalt, Einsamkeit und der Suche nach Nähe und Geborgenheit ist einmal mehr das große Thema des Choreographen.

 Angst, Wut, Gewalt, Sehnsüchte und Hoffnung – die Tänzer, hier Lucyna Zwolinska und Paul Hess, bringen all dies in ihren Bewegungen auf die Bühne. Foto: Theater Trier/Bettina Stöß

Angst, Wut, Gewalt, Sehnsüchte und Hoffnung – die Tänzer, hier Lucyna Zwolinska und Paul Hess, bringen all dies in ihren Bewegungen auf die Bühne. Foto: Theater Trier/Bettina Stöß

Foto: ©Bettina Stöß (g_kultur

Trier. Er ist seit jeher ein Meister der schönen Bilder. Selbst Einsamkeit und Gewalt vermag Urs Dietrich in wunderbar poetische Szenarien zu fassen, ohne dabei die Dinge zu beschönigen. Das war jetzt auch in Trier zu erleben. Dort hatte die erste Produktion des Schweizer Choreographen und Tänzers für das Theater Trier Premiere.
"Ein Neues Stück" heißt die eindrucksvolle Tanztheater-Produktion, die neuerlich die uralte Frage nach dem Ort des Menschen stellt. Für Dietrich, dessen großes Thema der Mensch ist, steht dessen Existenz im Spannungsfeld zwischen Einsamkeit, Gewalt und einer ungestillten Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit.
Bei seinen jüngsten tänzerischen Reflexionen für das Theater Trier nimmt der Choreograph die lange Tradition der Traumstücke auf. Grau in Grau ist seine Bühne gestaltet - so wie die dämmrigen Bilder der Träume und der Erinnerung und so grau wie die triste Welt, von der hier tänzerisch die Rede ist. In dieser Welt der nuancenreichen Grautöne setzen die weißen Oberteile der Tänzer helle Lichter, gleich einem Appell, dass Licht und Dunkel dieser Welt Menschensache ist. Feinsinnig setzt Dietrich das Licht.
Ein riesiger Stein verortet im Hintergrund das Geschehen und gibt ihm Halt. In seiner Unerschütterlichkeit ist er gleichermaßen Bedrohung wie Zufluchtsort und Sinnbild für jenen natürlichen Kosmos, dem auch der Mensch angehört.
Eine einsame Gestalt steht zu Beginn sinnend und suchend am Bühnenrand. Am Ende wird sie dort wieder stehen. Und ohne allzu kühn zu sein, darf man in ihr den Choreographen erkennen, in dessen Seelenwelt sich das Geschehen entwickelt und im Tanz Form und Ausdruck wird.
Einmal mehr hat Urs Dietrich in diesem eindringlichen, eher pessimistischen Stück geistige und seelische Energie als Bewegung gestaltet und Innen- zur Außenschau gewandelt. Das lässt er seine vorzüglichen Tänzer, die sich seelisch wie körperlich ganz verausgaben, einfallsreich und mit der ihm eigenen Präzision tun. Die kleinste Bewegung ist da Botschaft.
Über Geste und Tempo schaffen und greifen die zwölf Tänzerinnen und Tänzer Raum und Zeit. Ihre Glieder werden zu Zeichen, winden sich zu Skulpturen, setzen Ausrufezeichen, stellen Fragen und geben Antwort. In der Vielfalt der Bewegung zeigen sie Angst, Wut, Gewalt, Sehnsüchte und Hoffnung. Wenn Sergey Zhukov, einer der herausragenden Tänzer des Abends, mit der Wolldecke ringt, dann kämpft ein Mensch ums nackte Leben.
Dietrich ist nicht nur ein philosophischer Choreograph. Er ist auch einer, der sich auf das Symphonische in der Komposition versteht. Gekonnt steuert er die Dynamik, arbeitet die einzelnen Motive vielgestaltig aus, um sie immer wieder zum Ganzen zu vereinen. Bewegung eskaliert in dramatischen Ausbrüchen und wird wieder zurückgeführt in Ruhe und Stille.
Tobias Neys Musik, in der sich Vogelstimmen und Flugzeuggeräusche mit schrillen synthetischen Klängen mischen, orches triert verstörend das Geschehen. Am Ende bleibt jeder für sich allein, unbehaust, ein ewig Suchender in dieser kalten Welt.
Minutenlanger Beifall im dreiviertel besetzten Haus belohnt zum Schluss Tänzer, Choreograph und Team. Das anhaltende Stakkato der klatschenden Hände wird zur Demonstration, die in allen Sparten erreichte künstlerische Qualität beizubehalten und fortzuführen. Das bestätigen auch die Gespräche im Anschluss im Foyer.
Weitere Aufführungen, 5., 8., 14., 21., 26., 30. Juni, 8. Juli, 19.30 Uhr, Großes Haus.

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