Jenseits ausgetretener Pfade

Saarburg · Im März präsentiert das 8. Singer-Songwriter-Festival in und um Saarburg junge Songschreiber, die sich mit ihrer individuellen und authentischen Musik jenseits des Mainstreams bewegen. Einer von ihnen ist der 25-jährige Wahlhamburger Marcel Gein, der jetzt sein erstes deutschsprachiges Album "Passanten" herausgebracht hat.

Saarburg. Marcel Geins Stimme hat Wiedererkennungspotenzial. Sie klingt rau, erinnert ein wenig an Tom Waits oder Ryan Adams. Vor allem aber gräbt sie sich in Verbindung mit den aussagekräftigen Liedtexten ins Hirn. Marcel Gein singt nicht das übliche Ich-bezogene Liebes- und Gefühlsblabla, er verdichtet menschliche Schicksale in lyrischer Form. Damit steht er für eine neue Generation von Songschreibern, die sich zwar auf klassische Vorbilder wie Bob Dylan berufen, aber einen eigenen, zeitgemäßen Ausdruck gefunden haben. Über seine Entwicklung dahin hat er mit unserer Mitarbeiterin Anke Emmerling gesprochen.Wie und wann bist du an die Musik gekommen?Gein: Mit knapp sieben Jahren in der zweiten Klasse habe ich meine erste E-Gitarre gekauft, weil ich unbedingt so sein wollte wie Jon Bon Jovi. Dann ist erst einmal nichts mehr passiert. Erst mit 14 habe ich die Gitarre wieder aus dem Bettkasten geholt und angefangen, Punkrock und Pop-Punk nach Tabulatoren, die man auch im Internet finden kann, nachzuspielen. Das fand ich eine supergute Möglichkeit, Gitarre zu lernen, denn Noten lesen konnte ich nie.Heut klingt deine Musik ganz und gar nicht nach Punkrock, hattest du später andere musikalische Vorbilder?Gein: Ja. Der Vater unseres damaligen Bassisten, in dessen Keller wir geprobt haben, war ein ganz großer Freund der amerikanischen Singer-Songwriter- und Folk-Größen wie Bob Dylan, Bruce Springsteen oder Paul Simon. Das war tatsächlich das Fundament, das mich zur Singer-Songwriter-Musik gezogen hat. Später habe ich mich mehr dafür interessiert, ob es auch eine jüngere Generation von Leuten gibt, die diese "alte Musik" neu auflegen. Rocky Votolato ist eins von meinen ganz großen Vorbildern, Ryan Adams auch. Mit Rocky habe ich bestimmt schon neunmal zusammen gespielt. Bei jeder seiner Touren bin ich an ein oder zwei Terminen dabei.Es ist doch sicher schwer, als junger Singer-Songwriter Fuß zu fassen, wie war das bei dir?Gein: Sehr gute Frage, das hat sich über Jahre hinweg entwickelt, ich habe mich hochgespielt. Das fing im Raum Karlsruhe an, wo ich aufgewachsen bin. Da habe ich mit meiner Band einen Newcomer-Wettbewerb gewonnen. Später konnte ich dann mal ganze Touren begleiten oder mit ausländischen Bands am Wochenende vor großem Publikum spielen. Das bringt viel. Aber so etwas hat stark mit Glück zu tun, auch damit, wie man Kontakte pflegt und wie man sich verhält. Hast du dann noch eine Musikausbildung gemacht?Gein: Nein, gar nicht, ich bin Autodidakt. Ich habe an der Universität in Mannheim Medien- und Kommunikationswissenschaft studiert. Mein Schwerpunkt lag auf Filmmusik, in meiner Abschlussarbeit ging es um die Funktion von Musik in Film und Werbung.Du warst auch eine Zeit lang in Saarbrücken?Gein: Ja, nach einem Praktikum in Hamburg bei Tapete-Records, wo ich heute arbeite, bin ich nach Saarbrücken gegangen, habe meinen Master angefangen, aber nicht abgeschlossen. Es hat mich zurück nach Hamburg gezogen.Aber ein Lied ist geblieben, Saarbrooklyn ...Gein: Das ist der erste und einzige Song, den ich in meiner Zeit dort geschrieben habe. Als ich schon nicht mehr so in die Uni ging, habe ich mittags gegenüber meiner Wohnung einen betrunkenen Mann beobachtet. Auf den habe ich mir ein Schicksal zusammengedichtet. Ich habe mir vorgestellt, dass er das ganze Jahr nur fährt und arbeitet, nichts mehr vom Tag hat, seine Familie verliert und ihm nur noch der Alkohol bleibt. Ich habe das Saarbrooklyn getauft, weil ich ihn ja in Saarbrücken beobachtet habe.Wie findest du in Deutsch die lyrische Form?Gein: Das ist die absolut größte Herausforderung. Deutsch ist eine sehr kantige Sprache. Beim Englischen kann man viel vernuscheln, Endungen verschlucken oder Kurven schlagen zum nächsten Wort, das geht auf Deutsch nicht. Deshalb ist es der schwierigste Part für mich, hinzubekommen, dass der Text auf den Song passt. Mein erster Gehversuch in Sachen deutsche Musik war, ein Gedicht von Heinrich Heine zu vertonen. Das fand ich so schön und zeitlos. Ich wollte gerne ausprobieren, wie es geht, Geschichten in Deutsch zu singen und ob ihre Wirkung eine andere ist, wenn die Zuhörer sie sofort verstehen.Welche Themen interessieren oder bewegen dich so, dass du Songs daraus machen möchtest?Gein: Was mich wirklich bewegt, ist nicht eigene Gefühlsduselei, wenn ich natürlich auch immer ein bisschen was von mir in die Geschichten reinpacke. Gar nichts anfangen kann ich mit diesen ganz klassischen Liebesschnulzen, die man so oft im Radio hört. Ich bin eher jemand, der gerne über andere Leute singt, sich in sie hineinversetzt, ihren kleinen Mikrokosmos beleuchtet. Ich greife mir kleine Schicksale heraus und versuche sie lyrisch so aufzuarbeiten, dass daraus musikalisch ein schöner Song entsteht. In "Marathon" zum Beispiel geht es darum, wie der älteste Marathonläufer der Welt das Laufen entdeckt hat, um mit Leid und Schmerz über den Verlust seiner Frau und seines Sohnes umzugehen. Das sind so kleine Sachen, die mich berühren und bewegen, die mir als Inspirationsquelle dienen.Wo siehst du dich in zehn Jahren?Gein: Ich wäre froh, wenn ich in zehn Jahren in irgendeiner Stadt spiele, und dann sind 300 Zuschauer da. Das wäre großartig.Marcel Gein spielt am Samstag, 7. März, um 20.30 Uhr im Walderlebniszentrum Trassem. Gast ist die Akustik Rock Band Affinity Kit, die 2011 im Trierer Exhaus aufgetreten ist. aeExtra

Das Singer-Songwriter-Festival 2015 stellt im März akustische Musik jenseits des Mainstreams vor. Auf dem Programm stehen sieben Konzerte in und um Saarburg. "Der Grundgedanke ist, junge Musiker zu fördern, vor allem aber dem Publikum die Möglichkeit zu geben, mal etwas Frisches und Neues kennenzulernen", sagt Veranstalter Christof Kramp von der Eventagentur Station K. Sein Motto "weg von ausgetretenen Pfaden" verfolgt er sowohl in der Auswahl der Künstler als auch der Veranstaltungsorte. Am Mittwoch, 4. März, gastiert der irische Sänger Mick Flannery mit Band in der Synagoge Wawern. Am Freitag, 6. März, kommen der Trierer Songwriter Jochen Leuf und Band ins Bürgerhaus Ockfen, im Vorprogramm spielt die Indie Pop und Progressive Band "A Tale of Golden Keys" aus Nürnberg. Nach Marcel Gein und "Affinity Kit" in Trassem am 7. März, ist am Sonntag, 8. März, die australische Sängerin Toby in der Synagoge Wawern zu Gast. Am Freitag, 13. März, treten die deutsche Liedermacherin Desiree Klaeukens und das Pop-Duo "Die Sonne" im Bürgerhaus Ockfen auf. Am Samstag, 14. März, kommt das Songpoeten-Duo Carolin No nach Saarburg in die evangelische Kirche. Zum Abschluss des Festivals gibt es am Freitag, 20. März, in der Synagoge Wawern ein Wiedersehen mit Wolf Maahn, einem Urgestein der deutschsprachigen Szene. Infos und Hörproben unter <%LINK auto="true" href="http://www.station-k.de/Station_K/Events" class="more" text="www.station-k.de/Station_K/Events"%> ae

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