Popstar und Extremsportler Der extremste Spross der Kelly Family - Joey Kelly ganz persönlich (Fotos)

Er hat mit der Kelly Family vor Millionen begeisterten Menschen gespielt, hat ohne Geld ganze Kontinente durchquert – warum Musiker und Extremsportler Joey Kelly (49) ganz anders ist als sein Vater, wen er am meisten vermisst und warum er gute Erinnerungen an den Trierer Stockplatz hat.

Joey Kelly und die Kelly Family in Bildern
9 Bilder

Joey Kelly und die Kelly Family in Bildern

9 Bilder
Foto: picture alliance / dpa/Thomas Stachelhaus

Eine der unwahrscheinlichsten Erfolgsgeschichten der Pophistorie fängt mit einem alten Klischee an: Bei einem Urlaub in Italien in den 70ern. Ein Spaziergang durch Rom, die Familie kehrt zum VW-Bus zurück – und dann sind die Wertsachen weg, alles geklaut. Nur ein paar Instrumente nicht. Zu groß, zu sperrig, zu wertlos für Diebe, das weiß niemand. Aber die Auswirkungen sind gravierend. Nicht nur für die Familie. 

Ach ja, damals, „da standen wir ohne Geld in Rom“, erinnert sich Joey Kelly im Interview mit dem TV.  Was tun? „Mein Papa schlug dann vor: Lass uns Musik auf der Straße spielen, vielleicht können wir damit ein  bisschen Geld einnehmen.“ Das hatten die Kellys schon zu Hause geübt, sie lebten damals in Spanien. „Wir hatten jeden Tag Volkslieder gespielt, das war ein Hobby. So eine Art ein familiäres Teambuilding. Jeder hatte seine Aufgabe. Taktisch ist das gar nicht schlecht“, so beschreibt er es: „Aber musikalisch waren wir beschissen.“ 

Damals war Joey vier Jahre alt, wie viel davon eigene Erinnerung ist und wie viel familiäre Legendenbildung, das mag schwer einzuschätzen sein, spielt aber auch keine Rolle. „Das war jedenfalls der Start der Kelly Family“, sagt er. Weil seine Eltern Dan und Barbara dank der Diebe in Rom merkten: Okay, da geht was, das könnte mehr als nur Teambuilding sein, mehr als nur so ein Familiending. „Wir waren acht kleine blonde Kinder – es waren ja damals noch nicht alle meine Geschwister geboren, die mit Mutter und Vater zusammen auf der Straße Musik machen, das fanden die Leute in Rom witzig.“ So sei genug Geld für Übernachtung, Essen und Trinken zusammengekommen. Und, mehr noch: Die Überzeugung, dass das ein Job sein könnte, der die Großfamilie ernähren könnte. „Zu diesem Zeitpunkt hatte mein Vater noch einen Antiquitätenladen in Spanien.“ Schnell kamen Bühnenkostüme hinzu, die seine Mutter selbst nähte – und schon hatte man die Vorlage für das, was keine zwei Jahrzehnte später die deutschen Charts dominierte und reihenweise Teenies ausknockte. Die Kelly Family. Von der Straße in den Pop-Himmel.

Hysterie und Alltag: Warum Joey Kelly stolz ist auf den letzten Platz im Bravo-Ranking

Ja, die 90er, die waren verrückt, auch musikalisch. Grunge tauchte auf, Techno setzte sich durch, Euro-Dance tanzte an und stolperte weg, Crossover auch. Alles hatte Fans und Feinde, aber niemand polarisierte so stabil wie die Kelly Family – obwohl sie es gar nicht bewusst darauf anlegte. Joey Kelly und seine elf (Halb-)Geschwister, die lange Zeit in einem umgebauten Londoner Doppeldecker-Bus durch die Lande zogen, wenn auch nicht alle, später in Köln auf einem Hausboot auf dem Rhein lebten, dann in Schloss Gymnich im Rheinland. Es gab Horden von „Hatern“, wie es heute heißen würde, die sich lustig machten über die Zottelmähnen, die Heile-Welt-Musik, die alternative Lebensweise. Witze über Hippies und Hygiene, ha-ha-ha-hat schon damals nicht wirklich funktioniert. 

Die Hysterie ihrer Fans nahm groteske Züge an, spätestens ab dem Album „Over the Hump“, das nach der Veröffentlichung im Jahr 1994 über ein Jahr in den Top 10 der deutschen Albumcharts blieb – in einer Zeit, in der Charts noch Relevanz hatten. Es waren ungesunde Zeiten, so empfindet es Joey Kelly längst. Zu viel Hype, zu viel Wahnsinn  Joey hatte schon früh Verantwortung in der Familie übernommen, schon in den 80ern.

 Rockiger als in den Anfangstagen der Kelly Family: Gitarrist und Sänger Joey Kelly bei einem Auftritt.

Rockiger als in den Anfangstagen der Kelly Family: Gitarrist und Sänger Joey Kelly bei einem Auftritt.

Foto: picture alliance / Herbert Pfarrhofer/APA/dpa/Herbert Pfarrhofer

Im Zentralorgan vieler Pubertierender war seine Rolle eine andere. „Wir waren in  den 90ern dauernd in der Bravo, die hatten damals noch eine Auflage von fast einer Million. Da gab es mal einen  Aufruf, noch bevor das Internet ein großes Thema war: Wer ist euer Lieblings-Kelly?  Was ja schon eine fiese Frage war.“ Eine Woche später gab es die Auflösung: „Meine Brüder Paddy und Angelo lagen ganz vorne, dann folgten alle meine anderen Geschwister – und ich war Letzter.“ Seine Erkenntnis daraus? „Niederlagen waren für mich immer ein Push. Ob ich Paddy und Angelo beneide? Never ever! Ich bin so stolz, dass ich der Letzte bei der Bravo war. Das ist schon gut so“, sagt er.

Streiten? Streng sein? Dafür hat er keine Zeit.

Überhaupt: Streit habe er mit niemandem in der Familie. Auch wenn mehrere Geschwister nicht mehr mit der Kelly Family auf der Bühne stehen, etwa, weil sie eigene musikalische Karrieren haben – wie Paddy (als Michael Patrick Kelly), Maite oder Angelo. „Ich werde dieses Jahr 50 Jahre alt – das Leben ist kurz, um zu streiten. Jeder soll machen, was er oder sie machen will. Zum Beispiel Maite: Die macht eine tolle Karriere als Schlagerkünstlerin. ‚Warum hast du nicht nein gesagt‘ mit Roland Kaiser geht so durch die Decke und wird bei jeder Schlagerparty gespielt. Ich finde das unfassbar geil. Alles was Maite, Paddy oder wer auch immer gut machen, das pusht auch mich. Oder wenn ich durch die Wüste laufe, dann pushe ich auch sie.“

Mit einer Schnapsidee fing‘s an – dann wurde es immer heftiger.

 Die Kelly Family im Jahr 1979: Vater Daniel (damals 48), Patricia (9), Johnny (12), Kathy (17), Caroline (18), Danny (19), Paul (15) und Mutter Barbara (38) mit dem 20 Monate alten Paddy auf dem Arm (hinten auf dem Bus) Jimmy (8), Joey (6) und Barbie (damals 4, sie starb 2021 im Alter von 45 Jahren).  Foto: dpa

Die Kelly Family im Jahr 1979: Vater Daniel (damals 48), Patricia (9), Johnny (12), Kathy (17), Caroline (18), Danny (19), Paul (15) und Mutter Barbara (38) mit dem 20 Monate alten Paddy auf dem Arm (hinten auf dem Bus) Jimmy (8), Joey (6) und Barbie (damals 4, sie starb 2021 im Alter von 45 Jahren). Foto: dpa

Foto: picture alliance / Dieter Klar/dpa/Dieter Klar

Seine ältere Schwester Patricia hat ihren Anteil daran, dass viele beim Namen Joey Kelly längst nicht nur an einen Musiker denken – sondern an einen, der ganze Kontinente durchquert und für den ein Marathon schon fast was Alltägliches ist. Seine Lust auf die Extreme fing mit einer Wette an, in Zeiten, als er einen Gegenpol zum Kelly-Hysterie-Wahnsinn brauchte. „1996 hatte ich mit Patricia gewettet, dass ich einen Jedermann-Triathlon schaffe. Ohne trainiert zu haben. Das war eine echte Schnapsidee, nach dem Motto: Ich zeige euch allen, ich bin der King – und bekam dann voll auf die Fresse. Ich bin als Drittletzter angekommen und habe gesagt: Das mache ich nie wieder. Das war so heavy. Aber dann hat es im Kopf gerattert. Okay, ich hatte alles verkehrt gemacht: Ich hatte nicht trainiert, bin zu schnell angegangen – wenn ich es richtig mache, habe ich mehr Freude.“ Er suchte sich einen guten Trainer – und wurde im Laufe der Jahre zu einem der bekanntesten deutschen Extremsportler. Einer, der immer eine neue Herausforderung sucht und der sehr gut ohne Komfortzone klar kommt, wenn er eine Mission hat. 

Teambuilding mit einem alten VW Bus, dem legendären T1, dem „Bulli“. Das sieht dann in der Welt von Joey Kelly heute anders aus als damals. Mit seinem 19-jährigen Sohn Luke reiste er im Juli 2019 von Berlin nach Peking, ohne Geld, über 8000 Kilometer, innerhalb von vier Wochen. „Das wäre ein Jahr später schon nicht mehr gegangen – und jetzt ohnehin nicht mehr“, sagt Joey Kelly mit Blick auf die Situation in Russland. „Ich finde den früheren Ostblock unfassbar spannend. Bis Moskau ist es nicht so viel anders als im Westen – aber hinter Moskau wird es einsam, dann fährst du 500 Kilometer bis zum nächsten Ort.“ Durch endlose Weiten in Kasachstan oder in der Mongolei. „Und dann wollte uns China nicht mit dem Bulli ins Land lassen, weil es verboten ist, alte Autos zu importieren“, berichtet er. „Da waren es nur noch 700 Kilometer bis Peking – da sagte ich: Die fahre ich doch mit dem fucking Fahrrad.“ Der Bulli durfte doch mit über die Grenze. Über diese und andere „Challenges“ wird Kelly auch am 2. April bei seinem Vortrag „Abenteuer Leben“ in der Europahalle berichten.

Er spielte mehrfach in der DDR – und lief nun den ganzen ehemaligen Todesstreifen ab.

Eine andere Kombination aus Historie und Sport hat er im vergangenen Jahr zu Ende gebracht – es war eine Alternative zu einem Nordpol-Extremtrip, den er wegen der Corona-Pandemie ausfallen lassen musste: Er lief die komplette Strecke an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze ab, das „Grüne Band“, 1400 Kilometer von der Ostsee bis zur tschechischen Grenze. „Ich habe mir überlegt, dass ich das in vier Jahreszeiten angehe. Dass ich jeweils über 300 Kilometer laufe – und mindestens 42 Kilometer am Tag.“  Das Laufen war nicht nur Mittel zum Zweck. „Ich hatte drei befreundete Journalisten dabei, zwei Schreiber – ein ‚Ossi‘ und ein ‚Wessi‘ – sowie ein Fotograf. Wir suchten Zeitzeugen, die an dieser Grenze Dinge erlebt haben. Menschen, die enteignet wurden oder geflohen sind.“ Etwa die beiden Familien, denen 1979 spektakulär mit einem selbstgebauten Heißluftballon die Flucht aus der DDR gelungen war. „Ich habe sie am Ort getroffen, wo sie gelandet war. Es ist eine krasse Geschichte: Ohne jemals mit einem Ballon gefahren zu sein sind sie um 3 Uhr morgens mit zwei Familien und vier Kindern in den Ballon, auf 1000 Meter Höhe, oben waren minus 8 Grad. Irgendwann hatten sie kein Gas mehr und landeten keine 20 Meter von eine Buchenwald entfernt.“

Joey Kelly wurde in Spanien geboren, seine Eltern haben irische und amerikanische Wurzeln, er lebte jahrelang in Frankreich und tourte durch die Welt und sieht sich selbst als „Europäer“, der sich in Deutschland aber sehr wohl fühlt.  Die innerdeutsche Geschichte interessiert ihn sehr. „Auch, weil wir schon vor dem Mauerfall im Osten gespielt hatten.“ In DDR seien sie unter anderem in der Fernsehsendung  „Ein Kessel Buntes“ aufgetreten. „Insgesamt waren wir drei Mal dort. das war immer unfassbar anstrengend und kommunistisch, total durchgetaktet. Mit viel Propaganda, mit Komitee und winkenden Kindern. Die dachten bei uns bestimmt: Das sind Freaks, diese Band aus Irland. Spielen Volksmusik und laufen mit Trachten rum. Vielleicht sind die ja auch Kommunisten. So haben die sich das wohl schöngeredet.“ 

Wofür er seinen Eltern dankbar ist – und was er bei seinen vier Kindern anders macht.

Mit seiner Frau Tanja hat er vier Kinder. Was die Erziehung angeht, orientiert er sich nicht an seinem Vater, der vor 20 Jahren starb. „Mein Vater war sehr streng, ich bin es überhaupt nicht – ich arbeite viel, durch Corona war ich auch viel zu Hause. Und soll ich dann zu Hause noch doof zu meinen Kiindern sein? Nö, da habe ich keinen Bock drauf.“  Es sei ja auch eine ganz andere Zeit. „Mein Vater ist 1930 geboren, seine Brüder waren im 2. Weltkrieg, wir sind arm aufgewachsen. Er war alleinerziehend und hat da eine Mega-Job gemacht. Ich hatte als Kind nie Sorgen, nie Überlebensängste, keinen Kummer, nur Abenteuer.“ Der frühe Verlust seiner Mutter – sie starb mit 36 Jahren an Brustkrebs, er war neun Jahre alt  – geht ihm aber heute noch nah.   „Ich vermisse meine Mutter jeden Tag. Es wäre unfassbar, wenn sie meine Kinder hätte kennenlernen können. Ich habe bis heute nicht verstanden, warum sie gehen musste. Aber so ist das Leben. Ich habe sie noch erlebt – die anderen teilweise nicht, weil sie noch zu klein waren.“

Was er mit Trier verbindet.

So erlebte Barbara den ganz großen Erfolg ihrer Familie nicht mehr mit. Auch nicht die regelmäßigen Gastspiele in Trier. „Wir haben in den 80ern bis 1994 im Sommer immer im Rahmen vom Altstadtfest in Trier gespielt. Da gibt es am Rande der Fußgängerzone ja es einen kleinen Marktplatz (=Stockplatz). Das lief immer super, das war immer megavoll.“  Auch später war die Kelly Family mehrfach in der Region. Etwa auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs bei einem Open Air im Messepark – vor 17.000 Zuschauern im Jahr 1995. Auch nach dem Comeback spielte die Kelly Family zweimal in Trier, in der ausverkauften Arena. Die erfolgreiche Comeback-Tour endete nach zwei Jahren im Februar 2020 – kurz bevor Corona alles lahmlegte.  Nun steht im Herbst wieder eine große Tour und ein neues Album an, Joey ist eine der Triebfedern der Band. Trier steht aber bisher nicht auf dem Tourplan. Und mit den alten Bussen sind sie auch längst nicht mehr unterwegs – weder mit dem Bulli noch einem Doppeldecker.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort