Juppy trifft das Gemüt

TRIER. Dass sich im kleinen Saal der Tufa bei einer Lesung mehr als 100 Zuschauer drängen, gehört zu den seltenen Ereignissen in Trier. Ein ehemaliger Moselaner machte es möglich: Juppy Becher, Berliner Kultfigur, stellte sein Buch "Aus dem Leben eines Revoluzzers" vor.

Als er Trier vor einem Vierteljahrhundert verließ, war die Polizei hinter ihm her. Nun, da er zurück kam, saß vielleicht der eine oder andere Polizist als Fan im Publikum, so wie die Sportlehrerinnen, Winzer und Verwaltungsfachangestellten, als die sich Juppys einstige Weggefährten an diesem nostalgischen Abend entpuppten. Letzterer hatte mit einer hübschen Symbolik begonnen: Aus den Boxen drang "Willkommen" von Rosenstolz, die Hymne mit dem Refrain "Ihr bekommt uns nicht, ihr versteht doch nicht, was wir wirklich wollen". Entstanden 2004, aber 1964 nicht minder gültig, als sich ein rothaariger Junge aus Trittenheim im Gerolsteiner Internat durchzusetzen lernte. Etwas unstrukturiert, aber mit viel Charisma erzählt Juppy seine ungewöhnliche Lebensgeschichte. Von einem, der sich nicht verbiegen ließ, der auch krumme Wege ging, aber dessen ansteckender Optimismus selbst miesepetrige Vopos und verbiesterte Staatsanwälte einen Moment lang in umgängliche Zeitgenossen verwandelte. Ein bisschen mehr aus alten Trierer Zeiten hätte man hören mögen, damals, als die 68er Bewegung mit angemessener Verspätung an die Mosel kam. Von der freien Liebe in seiner "Weiberstube" in der Oeren-Straße, aber auch von den Heroin-Toten, die ihn zum Nachdenken brachten. Aber die meisten, die an diesem Abend gekommen sind, müssen sich keine Erinnerungen leihen - sie können eigene einbringen. "Vera, bist du da?", ruft Juppy von der angestrahlten Bühne in den dunklen Saal. Und Steffi, Ulli, Josef: Wo immer er nachfragt, reckt sich ein Finger in die Höhe. Und alle bestätigen, dass sie tatsächlich so waren, die alten Zeiten. So viel Neues war da zu entdecken im spießigen Trierer Umfeld, so viel Aufbruch, so viel gefühlte Befreiung, dass man als Nachgeborener ganz neidisch wird. Freilich sind die, die in der Heimat geblieben sind, letztlich meist doch in klassischen Brotberufen gelandet. Nicht so wie die vielen, die mit Juppy und seiner Generation nach Berlin auswanderten. Künstler, Freaks, Querköpfe hat er magisch angezogen mit seiner instandbesetzten Ufa-Fabrik. So wie Claus Josef Richter, den er an diesem Abend mit zurück nach Trier gebracht hat. Seit Jahren tritt er als Charlie Chaplin auf, eine wirklich bezaubernde Inkarnation. Im Publikum sitzt seine Mutter und erzählt, dass er eigentlich Dekorateur "bei der Insel" werden sollte. So kann's gehen. Dass die Lesung kein alternativer "Kamerad-weißt-du-noch-Abend" wird, regelt Moderator Daniel Gäsche mit dem nötigen Schuss Respektlosigkeit vor lebenden Legenden. Was mit Rosenstolz aus der Box begann, endet mit einem handgespielten Lied, das an Lindisfarnes "Meet me on the corner" erinnert. Juppy trifft nicht jeden Ton. Aber er trifft das Gemüt.

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