Kämpfer gegen Missstände und Ausbeutung
Grimburg · Die ersten Saar-Hunsrück-Literaturtage haben an drei Tagen insgesamt 1500 Neugierige auf die Grimburg bei Hermeskeil gelockt. Höhepunkt der Open-Air-Veranstaltung war ein Auftritt des Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff.
Grimburg. In viele Figuren ist der Publizist Günter Wallraff bereits geschlüpft. Als Hans Esser hat er sich bei der Bildzeitung eingeschlichen und Interna über die Arbeitsmethoden ihrer Redakteure veröffentlicht. Er hat sich als Türke, Schwarzer und Obdachloser ausgegeben, um am eigenen Leibe zu erfahren, wie es ihnen in Deutschland geht. Er hat in Call-Centern, Großbäckereien und bei Paketdiensten gearbeitet, um menschenunwürdige Zustände anzuprangern.
Als Top-Act bei den ersten Saar-Hunsrück-Literaturtagen hat der 70-Jährige auf der Burg Grimburg in der Verbandsgemeinde Hermeskeil die Besucher in seinen Bann gezogen. Bei der Open-Air- Veranstaltung erzählte er aus seinem privaten und beruflichen Leben, antwortete in einer Interviewrunde vor der Lesung auf Fragen von Moderator Metty Krings und dem Trierer Krimiautor Simon Reinsch. "Hans Esser war nicht einfach", sagte Wallraff. Die Bild-Zeitung hatte seinerzeit gegen ihn geklagt. Durch die hohen Prozesskosten habe ihm damals der wirtschaftliche Ruin gedroht.
Mehrfach bei Recherche erkannt
Schauspieler hätte er trotz der vielen Rollen, in die er geschlüpft sei, nie werden können. Mehrfach sei er während seiner Undercovereinsätze bei Unternehmen trotz seines "Allerweltsgesichts" von einzelnen Personen erkannt worden. Diese hätten jedoch geschwiegen. Heute lässt der 70-Jährige allein aus Altergründen vermehrt jüngere Mitstreiter bei Unternehmen einschleusen. Jeden Tag erreichten ihn in seinem Büro Grausamkeiten aus deutschen Firmen. Daraus erfahre er, in welchen Branchen etwas im Argen liege und könne darunter seine Betätigungsfelder auswählen.
"Die vielen negativen Dinge, die man erfährt und erlebt, belasten einen", sagte ein nachdenklicher Wallraff zu seinem betreten schweigenden Publikum. Der Autor erwähnte depressive Phasen in seinem Leben, die er nur durch Psychopharmaka ausgehalten habe.
Drei Formen der Arbeitsverhältnisse gebe es in Deutschland, erklärte Wallraff: Die Festangestellten, die Leiharbeiter und die Gruppe der Arbeiter mit Werksverträgen und der Scheinselbstständigen, "die neue Form der Sklaverei". Fahrer von Paketdiensten arbeiteten als Selbstständige 14 Stunden täglich im Laufschritt und gingen reihenweise in die Insolvenz. "Kauft nicht beim Versandhandel im Internet, sondern geht zum Fach- und Buchhandel", forderte er die Zuhörer auf, Konsequenzen zu ziehen. Diese hörten ihm andächtig zu und forderten ihn durch Applaus immer wieder dazu auf, weitere Kapitel aus seinen Büchern vorzulesen. Wallraffs neues Verbreitungsmedium für die entdeckten Grausamkeiten ist der Fernsehsender RTL. Zwar bezeichnete Wallraff die privaten Sender als "Verblödungssender", andererseits schaffe er es nur dort, ein jüngeres Zielpublikum zu erreichen, sagte er.
Auf der Grimburg war dieses zahlreich vertreten. "Wallraff hat Mindestlöhne, Praktika und befristete Verträge angesprochen. Das sind die Themen, die junge Menschen beschäftigen", sagt Tim Kohley, der die Literaturtage ins Leben gerufen hat. Er hatte sich um den Enthüllungsjournalisten bemüht, weil er bei der Veranstaltung Autoren präsentieren wollte, die Geschichten aus dem Leben erzählen. cst
Extra
500 Zuschauer haben täglich die ersten Saar-Hunsrück- Literurtage, die vom Trierischen Volksfreund präsentiert worden sind, auf der Grimburg besucht. Auf zwei Bühnen sind an drei Tagen 16 Schriftsteller, neun Solo-Musiker und Bands und ein Kabarettist aufgetreten. Flankiert wurde das Festival von einer Kunstausstellung und einem dreitägigen Kinderprogramm mit Puppentheater und Lesungen von drei Kinderbuchautorinnen. cst
