Kaiser, Künstler, Killer

Die Zustimmung am Ende war einhellig: Die Antikenfestspiele haben beim Neustart mit der Oper "Nerone" wieder an die künstlerische Qualität angeknüpft, die sie einst mit "Rienzi" und "Attila" erreicht hatten. Vor allem die sängerischen Leistungen sorgten für Begeisterung.

 Den Wahnsinn vor Augen: Gianluca Zampieri singt Kaiser Nero in „Nerone“. TV-Foto: Friedemann Vetter

Den Wahnsinn vor Augen: Gianluca Zampieri singt Kaiser Nero in „Nerone“. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Es dauert keine Minute, bis das Vorgeplänkel vorbei ist und deutlich wird, wer an diesem Abend im Mittelpunkt der Geschehens steht. Da tritt Gianluca Zampieri als Nerone auf den Plan, Titelheld und allmächtige Kaiser. Ein vom Wahnsinn Gezeichneter, mal erdenschwer-depressiv, mal spielerisch-tänzelnd. Von Angst getrieben, auch und gerade vor dem eigenen Volk, sensibel und brutal, Künstler und Killer, verfolgt von den Traumata seiner Kindheit: ein sängerisch und darstellerisch gleichermaßen faszinierendes Porträt, ohne Netz und doppelten Boden. Metallische Härte und lyrischer Schmelz, kraftvolle Höhen und eine tragfähige Mittellage, italienische Eleganz plus präziser Umgang mit dem Wort: Einen solchen Tenor bekommt man nicht alle Tage zu hören und zu sehen.

Es braucht aber auch Darsteller von Rang, denn Boitos lebenslang bearbeitete, doch nie zu Ende gebrachte Oper erschließt sich dem Betrachter nicht von selbst. Komplex und verzwickt sind die Verhältnisse der Hauptpersonen untereinander: Nero, dessen unendliche Macht dazu führt, dass ihn andere manipulieren wollen, zum Beispiel der Zauberer und Christenhasser Simon Mago. Zu dessen Imperium gehört die in Nero verliebte Nubierin Asteria, die Simon dem Kaiser als Göttin "verkauft" - mit fatalen Folgen, als der Schwindel auffliegt.

Simons Gegenspieler ist der christliche Apostel Fanuel, gleichfalls Zopfträger und kaum weniger machtbewusst und selbstgerecht. Ihn wiederum verbindet eine Art unerklärte Liebe mit Rubria, einer heidnischen Priesterin, die sich den Christen angeschlossen hat - und die wiederum von Nero vergewaltigt wurde. Das alles kann der Zuschauer freilich nur ahnen. Selbst die Übersetzung des Librettos, die das Theater dankenswerterweise verteilt, hilft kaum weiter.

Regisseurin Andrea Schwalbach ist klug genug, gar nicht erst zu versuchen, die Geschichte in allen Verästelungen zu erzählen. Stattdessen kreiert sie gemeinsam mit Nanette Zimmermann (Bühnenbild) und Stephan von Wedel (Kostüme) große Tableaus und einprägsame Bilder. Gigantische Buchstaben formen im Hang hinter der Bühne das Wort "Colosseo", effektvolle Massenszenen schaffen eine spannende Atmosphäre, die Bewegungsregie ist exzellent, und die Regie spart nicht an psychoanalytischen Symbolismen. Schwarze und weiße Pierrots (eine Figur aus der Commedia dell'arte) begleiten die Protagonisten, tote Jungfrauen begegnen einem Kardinal, ein schwarzer Todesengel verbrennt seine Flügel, Totenköpfe rollen über ein gigantisches Schachbrett. Wer sich auf die Bilderwelt der Inszenierung einlässt und es schafft, nicht überall nach Sinn und Zusammenhang zu suchen, kann tief eintauchen in einen faszinierenden Kosmos, in dem allenfalls die Frauen so etwas wie Menschlichkeit und Mitgefühl einbringen.

Boitos Musik ist traditionell melodisch, öfter mal monumental, stellenweise herrlich emotionalisierend, dann aber wieder recht platt. Auch hier sind die Massenszenen das stärkste Element, nicht zuletzt dank eines durchschlagskräftigen, präzise arbeitenden, szenisch wie musikalisch auf hohem Niveau agierenden Chors. Das Orchester schwelgt in den Klangwogen, schafft Gänsehaut-Momente, setzt wuchtig Akzente, ohne die Sänger zuzudecken. Dirigent Victor Puhl ist so mutig, die separate Bühnenmusik im ganzen Amphitheater zu verteilen - und erzielt damit große Wirkung. Die Trierer Philharmoniker klingen im großen Orchesterzelt wie aus einem Guss, ausgewogen in den Instrumentengruppen, sicher im Zusammenhalt. Ein bisschen Fein-Tuning für den Raumklang mag noch nötig sein (Tipp: Karten in den Sektoren C und D kaufen!) - aber diese Lösung ist zukunftsträchtig.

Die Solisten-Riege würde jedem Festspiel im Lande gut anstehen. Rachael Tovey ist eine mächtige Asteria, die selbst schwindelerregende Höhen ohne Schärfen meistert und dramatische Verve mit wunderbar ausgesungenen Linien verbindet. Sang Lees klangvoller Bariton klingt fast zu schön für den schurkischen Simon Mago, Bruno Balmelli verleiht beiden Seiten des Fanuel, dem friedvollen christlichen Botschafter und dem beinharten Kirchenfürsten, eine überzeugende stimmliche Charakteristik. Eva-Maria Günsch mann muss sich wegen einer Erkrankung ganz auf ihre herausragenden darstellerischen Fähigkeiten konzentrieren, den gesanglichen Part der Rubria übernimmt die kurzfristig eingesprungene Silvia Pasini mit bewundernswerter Einsatzbereitschaft und einer kultivierten, dunkel timbrierten Stimme.

Pawel Czekala, Peter Koppelmann, Evelyn Czesla und Laszlo Lukacs liefern einprägsame, präsente Nebenrollen, ebenso wie die zahlreichen Solisten aus den Reihen des Chors und der Schauspieler Jan Brunhoeber.

Am Ende brennt es, klar. Aber auch diese Szene verläuft nicht nach den üblichen Klischees. Nerone, das große Kind, zündet ein Spielzeug-Amphitheater an und legt sich davor. Ein Bild, das sich ins Gedächtnis einbrennt.

12., 14., 16., 18. Juli. Karten in den TV-Servicecentern Trier, Bitburg, Wittlich und an der Abendkasse. www.antikenfestspiele.de

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