Katholische Akademie: Willkommen im Aus

Trier · Es gibt keine genauen Zahlen, aber um die 5000 Veranstaltungen mit einer Viertelmillion Teilnehmern dürften im heutigen Robert-Schuman-Haus hoch über den Dächern Triers stattgefunden haben. Eine Erfolgsgeschichte - sollte man meinen. Aber das letzte Kapitel der Katholischen Akademie hat kein Happy End.

Mild strahlt die Herbstsonne über die Altstadt von Trier, bringt den meterhohen "Schaffrock", ein Relikt der Heilig-Rock-Wallfahrt, zum Glitzern und fällt fast sanft in die Aula der Katholischen Akademie. Wenn es Orte gibt, deren Ambiente das Denken anregt, dann gehört das Robert-Schuman-Haus am Fuß der Mariensäule fraglos dazu.

Dabei ist das Thema heute alles andere als sonnig. Es geht um Amokläufe, und wie man sie verhindern kann. Experten, Polizisten, Lehrer aus ganz Deutschland sind da. "Eine hochkarätigere Besetzung als hier gibt es nicht", sagt Mario Theis vom Institut für präventives Handeln in St. Ingbert. Sogar die Mutter eines Winnenden-Opfers hat sich der Diskussion gestellt. "Ich kann gar nicht glauben, dass die Akademie geschlossen werden soll", sagt ein Teilnehmer aus Niedersachsen. Sein Tischnachbar aus Bonn, schon zum elften Mal in Trier dabei, schüttelt nur den Kopf.

Rückblende, die erste

Es war keine Revolution, aber doch zumindest ein Aufbruch. In den 1960er Jahren machte sich das Bistum Trier im Geist des zweiten vatikanischen Konzils daran, neue Strukturen für den Dialog zwischen Kirche und Gesellschaft zu schaffen. Bildung und Diskurs statt Befehl von oben: Vor diesem Hintergrund entstand die katholische Akademie. Nach kleinen Anfängen wuchs ihre Bedeutung unter der Ägide der Bischöfe Stein und Spital. Neben Gesellschafts- und Politikthemen fanden hier auch Bildende Kunst und Literatur eine Heimstatt - mit Premiumveranstaltungen wie dem Aschermittwoch der Künstler.

Günter Gehl läuft durch die Reihen wie ein Moderator. Der 59-Jährige ist der letzte aus der vierköpfigen Dozentenriege, der hier oben noch Dienst tut. Er muntert die 100 Teilnehmer auf, kurbelt Diskussionen an, provoziert, schlichtet - je nach Bedarf. Wer ihm fünf Minuten zusieht, weiß: Da ist ein Mensch in seinem Element. Der promovierte Historiker hat mit Leidenschaft Themenbereiche wie Kriminalität, Sicherheit und Politik beackert, seit er 1984 zur Akademie kam. Hat reihenweise prominente Referenten miterlebt, von Ignatz Bubis bis Jean-Claude Juncker. Und auch manchen Sturm, wie die Proteste, die einen Auftritt des umstrittenen Mainzer Bio-Ethikers Norbert Hoerster zum Thema Sterbehilfe verhinderten.

Tabus gab es wenige, Gehl und seine Kollegen hatten weite Spielräume. Jeder pflegte seine bevorzugten Themenbereiche: Umwelt, Arbeitswelt, Jugendbildung. Auch schon mal ein bisschen exotisch. Aber immer nahe an den aktuellen gesellschaftlichen Debatten. Und vielleicht weniger nahe an der sonntäglichen Verkündigung.

Offen kritisiert hat das kaum jemand. Aber vor allem in eher traditionalistischen Kirchenkreisen grummelte es manchmal vernehmlich. Auch bei einer Tagung zum Thema "Amoklauf" mag sich mancher fragen, was es auf einer katholischen Akademie zu suchen hat. Aber wenn der Profiler aus Nordrhein-Westfalen eine Amok-Situation beschreibt, bei der er den Beteiligten "nur noch eines empfehlen kann, nämlich beten", dann werden unversehens Zusammenhänge deutlich, die sich der oberflächlichen Betrachtung entziehen.

Rückblende, die zweite

September 1997: Ein stolzer Bischof Hermann-Josef Spital eröffnet nach dreijähriger Umbaupause die Akademie, die ab sofort den Namen von Robert Schuman trägt, dem Vorreiter der deutsch-französischen Aussöhnung - eine Reminiszenz an die europäische Ausrichtung der Akademie. 40 Millionen Euro hat das Bistum in die Komplettrenovierung und einen prächtigen, verglasten Aula-Anbau gesteckt. "Hier denken Christen über die Verantwortung der Kirche und der Welt nach, das ist wichtig", sagt Katholiken-Präsident Hans-Joachim Meyer.

Aus Paris ruft Henri Menudier in der Redaktion an, Professor an der Sorbonne und als Spezialist für deutsch-französische Beziehungen mindestens so legendär wie Peter Scholl-Latour als Islam-Experte. "Das kann doch nicht wahr sein, dass die Trierer die Akademie schließen wollen", sagt der 72-Jährige ratlos. "Wissen sie nicht, was sie da haben?"

Die Amok-Tagung biegt nach drei anstrengenden, aber fruchtbaren Tagen auf die Schlussgerade ein. Polizist Michael Scholz aus Lieser, zum zweiten Mal hier, ist sich schon jetzt sicher: "Ich werde die Akademie vermissen, wann kommen solche Experten sonst schon nach Trier?" Hans-Peter Bünz, Experte für Waffenrecht aus Essen, greift ein letztes Mal zum Mikrofon: "Ein derart breit gestreutes, interdisziplinäres Forum wie hier wird es gesellschaftlich nirgendwo anders geben." Beifall im ganzen Saal. Günter Gehl blickt gerührt drein, aber auch mit dem leicht resignativen Blick dessen, der weiß, dass eh nichts mehr zu ändern ist.

Rückblende, die dritte

Im Juni 2010 gibt das Bistum bekannt, dass es plant, im Zuge von Konsolidierungsmaßnahmen die Akademie zu schließen. Von einer Dreiviertelmillion Euro Einsparungen ist die Rede. Ein Sturm der Entrüstung folgt, 22.000 Unterschriften gegen die Schließung werden übergeben. Das Bistum macht einen Rückzieher. Aber im März 2012 folgt der zweite Angriff, den die Festung auf dem Markusberg nicht mehr übersteht. Da hilft es auch nicht, dass der Förderverein der Akademie dem Bischof einen "Tabubruch" vorwirft. Es gebe keine Alternative, sagt das Bistum.

Die Tagung geht zu Ende, es ist die vorletzte von Günter Gehl. Er wird wohl im Kirchendienst bleiben, wie seine Kollegen auch. Ob er dieser Tage Zeitung gelesen hat? Da stand, das Defizit des Bistums im vergangenen Haushaltsjahr sei nur halb so hoch ausgefallen wie erwartet. Für seine Akademie kommt diese Erkenntnis zu spät.

Chronik:
1962: In Saarbrücken wird eine Vorläufer-Akademie für das Bistum gegründet.

1966: Jürgen Wichmann wird erster Leiter der Akademie in Trier, die in Hotels oder Klöstern tagt.

1969: Einzug in das ehemalige Priesterseminar Rudolfinum auf dem Markusberg. Die Akademie entwickelt sich zu einem Kommunikationsforum für unterschiedliche gesellschaftliche und religiöse Spektren.

1991: Der ehemalige Regierungs8präsident Gerhard Schwetje übernimmt die Leitung der Akademie.

1994: Beginn des dreijährigen Ausbaus zu einem modernen Tagungszentrum mit Kantine und Übernachtungsmöglichkeiten.

1996: Herbert Hoffmann wird Leiter der Einrichtung. Das Programm wird weiter ausgebaut, das Gebäude auch außerkirchlich immer stärker genutzt.

2002: Jürgen Doetsch tritt an die Spitze der Akademie.

2012: Die Akademie wird geschlossen, das Gebäude Robert-Schuman-Haus steht für Veranstaltungen gegen Miete zur Verfügung.

Meinung: Nie wäre sie so nötig wie heute

Von Dieter Lintz

Gemessen daran, was Trier verliert, ist es erstaunlich, wie geräuschlos die Schließung der Akademie im zweiten Anlauf über die Bühne geht. Die Kirche tut, was alle Unternehmen tun: Sie konzentriert sich in Krisenzeiten verständlicherweise aufs Kerngeschäft. Leider gehört dazu nach Einschätzung der Verantwortlichen eine Einrichtung des gesellschaftlichen Dialogs wie die Akademie wohl nicht.

Das könnte sich, bei allem Verständnis für eine sinnvolle Sparpolitik, als kurzsichtig erweisen. Und zwar nicht nur für die Kirche. Denn unsere hochdifferenzierte, individualisierte und in Interessengruppen zerspaltene Gesellschaft braucht Felder der Selbstvergewisserung, des offenen Diskurses, der Konsensfindung nötiger als je zuvor. Die Akademie war eine solche Einrichtung. Sie wird fehlen, nicht nur den Gläubigen.

d.lintz@volksfreund.de

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