Kein Freund von Lebkuchen-Romantik

Trier · Bühnenbild und Kostüme zu entwerfen, ist Bernhard Siegl gewohnt. Bei "Hänsel und Gretel" am Freitag (16. Dezember) im Trierer Theater übernimmt der gelernte Theatermaler auch die Regie. In seiner ersten Opern-Inszenierung will Siegl die sozialkritischen Aspekte von Humperdincks als "Kinderstück" unterschätztem Werk deutlich machen.

Kein Freund von Lebkuchen-Romantik
Foto: Martin Dr. Möller (mö) ("TV-Upload Dr. M?ller"

Trier. Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel" gehört zu den beliebtesten Opern überhaupt - und zugleich zu den Stücken, die immer wieder Missverständnissen ausgesetzt sind. Humperdincks Komposition, die übrigens im Eifelort Blankenheim entstand, gilt vielfach als Kinderstück und sogar als eine Art "Weihnachtsmärchen", obwohl Weihnachten dort gar nicht vorkommt. Dabei ist das Werk trotz der eingestreuten, teils neu erfundenen Volks- und Kinderlieder überhaupt kein spezielles Kinderstück, sondern eine anspruchsvolle Oper, deren Märchenstoff allerdings auch Kinder anspricht. "Für Kinder ab acht, neun Jahren ist die Trierer Inszenierung absolut geeignet", verspricht Bernhard Siegl, der mit "Hänsel und Gretel" als Opernregisseur debütiert. Theatererfahren ist Siegl allemal. Der gelernte Theatermaler und seit 2000 frei schaffende Bühnen- und Kostümbildner hat sogar an großen Häusern wie dem Wiener Burgtheater oder dem Schauspielhaus Bochum die Ausstattung konzipiert.
Von überzuckerter Weihnachtsstimmung oder auch Sozialromantik hält sich der Regisseur in Trier fern. Er sei, sagt er, "kein Freund von Lebkuchen-Romantik, bei der die Akteure an bemaltem Styropor knabbern." Die Hütte, in der die Familie des Besenbinders haust, ist in seiner Konzeption keine trauliche Idylle, sondern ein Ort von bitterer Armut, Orientierungslosigkeit und Gewalt - auch gegen Kinder.
"Wunderbare Musik"


Den vielleicht allzu harmlosen Kinderliedern ("Brüderchen, komm, tanz mit mir") gibt er eine neue Optik mit - welche, behält er bis zur Premiere noch für sich. Auf jeden Fall erhält auch die Traumvision Ende des zweiten Bildes mit der Company Susanne Linke und in der Choreographie von Viktor Alfonso Zapata Cardenas eine neue profilstarke Gestalt. Schließlich achtet der Bühnenbildner Siegl auch auf die Zuordnung von Farben und Personen: schwarzweiß für die Hexe und ihr Umfeld, Farbe für die Kinder. Sie sind die wichtigsten Akteure im Spiel und werden im schlimmen Abenteuer fast zu Erwachsenen. Und wenn am Ende der Fluch über die verzauberten Lebkuchen-Kinder erlischt, dann stehen sie alle vor einer gravierenden Entscheidung: Weitermachen im ärmlichen Elternhaus oder Aufbruch in ein neues Leben? So jedenfalls sieht es der Regisseur.
"Eine wunderbare Musik" sei Humperdincks Komposition, sagt Victor Puhl. Unter der Leitung des Trierer GMD spielt das Philharmonische Orchester Trier in "voller Besetzung" (Puhl). Was bedeutet: Man beschränkt sich auf die Hausbesetzung. Eine (noch) kleinere Besetzung wäre bei diesem wagner-nahen Werk allerdings nur mit deutlichen Abstrichen an der Klangqualität möglich. Martin Folz hat den Kinderchor des Theaters einstudiert. Es singen Bernadette Flaitz (Mutter), Yajie Zhang (Hänsel), Eva Maria Amann (Gretel), Frauke Burg (Sandmännchen und Taumännchen). Auf Fritz Spenglers Contratenor-Hexe darf man gespannt sein. Und das Trierer Theater-Urgestein Laszlo Lukacs kann mit dem Peter Besenbinder zum zweiten Mal in dieser Saison eine größere Partie singen.
Nach der Premiere am 16. Dezember, 19.30 Uhr im Großen Haus bleibt die Oper lange Zeit auf dem Spielplan. Bis zum 1. April 2017 finden insgesamt 13 Vorstellungen statt.
Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel. Premiere am 16. Dezember 2016. Musikalische Leitung: Victor Puhl, Inszenierung Bernhard Siegl. Mit Laszlo Lukacs, Bernadette Flaitz, Yajie Zhang, Eva Maria Amann, Fritz Spengler und Frauke Burg. Der Kinder- und Jugendchor des Theaters, Philharmonisches Orchester Trier. Weitere Vorstellungen am 18., 21., 23., 26. und 30. Dezember. Karten 0651/7181818.

Extra

 Zielt auf die sozialkritischen Aspekte in „Hänsel und Gretel“: Regisseur Bernhard Siegl. TV-Foto: Martin Möller

Zielt auf die sozialkritischen Aspekte in „Hänsel und Gretel“: Regisseur Bernhard Siegl. TV-Foto: Martin Möller

Foto: Martin Dr. Möller (mö) ("TV-Upload Dr. M?ller"

Bernhard Siegl wurde 1970 in Augsburg geboren und arbeitet als Bühnen- und Kostümbildner, Szenograph und Regisseur. Er studierte Theatermalerei sowie Bühnen- und Kostümbild bei Andreas Reinhardt an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Nach Assistenzen bei der Bühnenbildnerin Barbara Ehnes sowie einer festen Anstellung am Maxim Gorki Theater Berlin ist er seit 2000 als Bühnen- und Kostümbildner unter anderem am Deutschen Theater Berlin, an den Münchner Kammerspielen, am Staatsschauspiel Dresden, Schauspielhaus Bochum, dem Burgtheater Wien, Maxim Gorki Theater sowie an Theatern in Erlangen, Wuppertal, Heidelberg, Aachen und Graz tätig. Am Theater Trier schuf er das Bühnenbild für "Die Großherzogin von Gerolstein", und er verwandelte im vergangenen Jahr mit dem Dramaturgen Arved Schultze die Foyers und den Garten des Theaters Trier zum "Theaterpark Trier". red

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