Kein Platz für Zigeunerromantik

Wenn alle Opernhäuser der Region Sommerpause haben, wenn die Festspiele gespielt sind und der Konzertbetrieb ruht, dann schauen die Musiktheater-Fans der Großregion traditionell nach Merzig. In diesem Jahr soll dort Bizets unverwüstliche "Carmen" das Opernzelt füllen.

Merzig. Ganz so hat man sich Opern-Sevilla nicht vorgestellt. Eine nackte, runde Stahlplatte markiert den Bühnenboden, allenfalls bedeckt von einem dünnen Rost-Flaum. Dazu eine Art Imbissbude und graffiti-geräucherte Blechwände, im Hintergrund lauert ein amerikanischer Militär-Jeep auf seinen Einsatz. "Ein Original-Willys aus dem Jahr 1958", sagt der Leihgeber stolz.

Regisseurin Aurelia Eggers - sie inszenierte in Trier vor ein paar Jahren Mozarts "Entführung" - will Carmen von der Zigeunerromantik befreien, die das Stück nach ihrer Einschätzung derart verkleistert, "dass man die Menschen dahinter nicht mehr sieht". Roh, brutal, pur soll es werden, "so wie Bizet die Musik geschrieben hat". Kein Märchen aus 1001 andalusischen Nächten, eher ein drastisches Sozialdrama.

An manchem Stadttheater müsste man sich da Sorgen ums Abo-Publikum machen, aber die Besucher der Merziger Zelt-oper sind risikofreudige szenische Interpretationen gewöhnt. La Traviata spielte hier im Drogen- und Zocker-Milieu von Las Vegas, der Freischütz ballerte im Bosnien-Krieg, Cosi fan tutte hätte auch "Almenrausch im Pulverschnee" heißen können. Aber immer wurde darauf geachtet, dass die Handlung verständlich und nachvollziehbar blieb. Vielleicht ist es die Mischung aus moderner Ästhetik und solidem Bühnen-Handwerk, die das Festival seit 16 Jahren in der saarländischen Provinz überleben lässt.

Supertalent in einer Nebenrolle



Opernzelt-Direktor Joachim Arnold, im "Nebenberuf" PR-Chef der großen Züricher Oper und hoch gehandelt für attraktive Intendanten-Jobs, kann heuer beim Blick auf die Vorverkaufszahlen strahlen. Wer noch Plätze für eine der sieben Vorstellungen buchen will, muss sich sputen.

Aber eine hohe Auslastung wird er auch brauchen, angesichts des Aufwands, den Merzig wieder einmal treibt. Die massiven Stahlplatten für den Boden etwa hat Arnold bei der Dillinger Hütte losgeschweißt - jede Einzelne wiegt 700 Kilo, eigens für das Opernzelt mit Rundschnitt versehen. So was zu organisieren macht ihm sichtlich Spaß. Ebenso wie der Coup, die saarländische RTL-Show-Finalistin Vanessa Calcagno ("Deutschlands Supertalent") für eine Nebenrolle zu verpflichten, obwohl ihr Ausbildung und Bühnenerfahrung fehlen. "Lass das Mädchen doch mal machen, die hat wirklich Talent", sagt Arnold - und macht keinen Hehl daraus, dass ihn ein gewisser "Susan-Boyle-Effekt" nicht stören würde.

Arien werden in Originalsprache gesungen



Ansonsten ist der "Cast" wie immer über jeden Zweifel erhaben. Für die Titelrolle hat Arnold Ann-Kathrin Naidu geholt, lange Jahre Publikumsliebling am Saarbrücker Staatstheater und spätestens seit ihrer Mitwirkung am Nibelungen-Ring in Valencia in die Europa-League aufgestiegen. Den Don José gibt, in seinem dritten Merzig-Jahr nach Cavaradossi und Pinkerton, Timothy Richards von der Komischen Oper Berlin. "Auf in den Kampf, Torero", darf Renatus Meszar vom Nationaltheater Weimar schmettern - allerdings auf Französisch. Die Arien werden in der Originalsprache mit Übertiteln zu hören sein, die Dialoge werden auf Deutsch gesprochen.

Wie stets in Merzig gibt es personelle Verbindungen nach Trier. Nicht nur, weil Ulli Kremer einmal mehr für die Kostüme verantwortlich zeichnet. Am Dirigentenpult des Minsk Orchestra steht mit Alexander Mayer der langjährige Leiter des Collegium musicum der Uni Trier, der sich erst vor Wochen verabschiedet hat, um auf seine erste Orchesterdirektor-Stelle im Schweizer Neuchâtel zu wechseln. Bislang kennt er die Arbeit aus dem Blickwinkel des Assistenten hochkarätiger Dirigenten wie Donald Runnicles - in Merzig ist er selbst Chef. "Wahnsinnig reizvoll" findet das der 36-Jährige.

Aufführungen am 20., 21., 25., 26., 27., 28. und 29. August. Karten in den TV-Servicecentern Trier, Bitburg und Wittlich, Infos: www.musik-theater.de

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