Klanggewaltiges Karussell von Gefühl und Kalkül: Uraufführung der Jazzoper "Blue Sheets" bringt mächtig Betrieb ins Trierer Walzwerk

Trier · Mammutprojekt geglückt: Mit minutenlangem, tosendem Applaus haben 600 Zuschauer im Trierer Walzwerk die Uraufführung der Jazzoper "Blue Sheets" gefeiert. Das Stück um Liebe, Tod, Macht und Unterdrückung schrieben Nils Thoma und Stefan Bastians eigens zum 30-jährigen Bestehen der Tuchfabrik. Das Besondere: Die etwa 160 Musiker und Darsteller sind überwiegend Laien, unterstützt von nur wenigen Profis.


Vier Lichter tauchen auf im Dunkel. Leise schleichen sich die Betriebsräte (Sandra Karl, Birgit Weinmann-Lutz, Claudia und Richard Stephen) durch die Halle, verbreiten Gerüchte. Sie sind nicht die Einzigen, die in dieser Nacht die Textilfabrik heimsuchen. Die Aktionäre (Klangvolk-Chor, Konz) um die Dame (mit herausragendem Stimmvolumen: Susanne Ekberg) halten Krisensitzung. Die Chefin (Christine Reles) wacht in ihrem Büro. Die Arbeiterfamilie sitzt auf der Treppe vor dem Haus. Sie alle hadern mit dem Unfalltod eines Arbeiters, jeder aus seiner ganz persönlichen Sicht.

Herrlich: die nächtliche Putzkolonne (Jazz- und Pop-Chor Trier und das integrative com.guck-Theater) mit ihrem abenteuerlichen Staubsauger. Mit Peitschenschlägen gibt Dirigent Thomas Rieff den Takt vor. Auch die Rapeinlagen von Jonathan Beba und Gil Stäudten sowie die Hip Hop tanzenden Azubis sorgen für Auflockerung bei den 600 Zuschauern der Jazzoper "Blue Sheets" im ausverkauften Trierer Walzwerk. In dem anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Kulturzentrums Tuchfabrik komponierten Stück geht es um Liebe und Tod, Erfolg und Niederlage, Macht und Unterdrückung. Tiefe Abgründe tun sich auf, gut gehütete Geheimnisse kommen ans Licht, verblüffende Allianzen bilden sich.

Das dramatische und schlüssige Libretto stammt von Stefan Bastians, der auch Regie führt. Die rund 160 Musiker und Sänger spielen bei diesem Mammutprojekt brillant zusammen.

Der musikalische Leiter Jürgen Theune führt die beiden Chöre und drei Combos, Rhythm & Swing Big Band, Musikverein Lyra Tawern, Nonett des Jazz-Clubs Trier, sowie die Solisten präzise und souverän. Dazu das integrative com.guck-Theater, Rapper und Tänzer. Den Sound haben die Techniker um Ulrich Schneider voll im Griff.
Den Akteuren, überwiegend Laien, ist die Freude am Spiel anzumerken. Die wenigen Profis spielen sich zu keiner Zeit in den Vordergrund. Dieses harmonische Miteinander und die hervorragende Leistungen gefallen dem Publikum, das üppigen Zwischenapplaus und abschließend minutenlang Beifall spendet.

Tagsüber herrschte noch rege Betriebsamkeit in der Firma. Arbeiter eilen zu den Maschinen, Bürokräfte hasten, mit Ordnern und Telefonen bewaffnet, geschäftig durch die Halle. Sie seien nur ein Teil des großen Räderwerks, singt die Belegschaft (Jazz- und Pop-Chor, com.guck).Musikalisches Ungemach


Regisseur Bastians hat die Chorsänger gut vorbereitet auf ihre Schauspieleinsätze. Die Musik steigert sich, wird lauter, schneller. Quietschende Töne zeichnen das Unglück voraus. Kreischende, überkippende Klänge, zuckende Lichtblitze lassen die Produktion stillstehen. Alle stieben auseinander. Entsetzte Schreie. Ein Trommelwirbel, dann ist es totenstill. Sanitäter schieben einen Wagen mit dem verunglückten Arbeiter heran. Entsetzen bei den Kollegen, in der Familie, der Chefetage.

Anrührend der Gesang der Witwe (Petra Bungert), die im pas de deux Abschied nimmt von ihrem Mann (Maher Abdul Moaty). In ihrem herzzerreißenden Rezitativ schwört die Tochter (Nadine Woog) Erinnerungen an ihren Paps herbei. Einfühlsam folgt das Orchester Woogs Sprechgesang. In Filmen nutzen Regisseure dafür Rückblenden. Bastians lässt in der Szene Traum und Wirklichkeit zu einem absurden Totentanz von Moaty und - als Tochter - Felizia Roth verschwimmen. Ein geschickter Kunstgriff, füllt er doch zugleich die riesige Spielfläche. Auch der chamäleonhafte Fabriksohn (Christopher Ryan) erhält mit Reveriano Camil (Choreographie) ein tänzerisches Double.

Für das Stück hat Bastians das Walzwerk in eine Textilfabrik verwandelt. Große Maschinen produzieren Tuch, auf einer Plattform schweben die Aktionäre über dem Geschehen, die Chefin thront auf Umkleidespinden, und Perkussionist Frederik Noll bezieht sogar die Stahlträger der Halle in sein Spiel ein. Authentischer könnte ein Spielort nicht sein.

Ganz nebenbei räumt das Stück auch mit den Vorurteilen auf, Jazz sei verkopft, elitär und todernst. Denn Komponist Nils Thoma hat den Begriff "Jazz" erweitert und lässt Rock, Pop, Blues, Funk, Rap, Hip Hop und ein wenig Klassik einfließen. Das klingt nicht anbiedernd, sondern melodisch, flott, manchmal gar gefällig. Hervorragende Stimmen, überzeugendes Spiel und geschmeidige Tänze malen Bilder, die noch lange im Gedächtnis bleiben.

Weitere Termine: 10., 27., 28. November, 19.30 Uhr, Walzwerk Trier. Karten: TV-Service-Center Trier, Hotline 0651/7199-996, www.ticket.volksfreund.de

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