Klassiker von Liebe und Tod

Trier · Das Gastspiel "Giselle" der Ballettcompagnie des Koblenzer Theaters hat die Sehnsucht des Trierer Publikums nach einer klassischen Ballettaufführung erfüllt. Vor dem trotzdem nicht ausverkauften Haus machten großartige Tänzer und die Choreografie von Steffen Fuchs glückliche und tragische Spielarten der Liebe sichtbar.

 Mörderisches Vergnügen: Die Wilis töten die Männer mit ihrem Tanz. Foto: Matthias Baus

Mörderisches Vergnügen: Die Wilis töten die Männer mit ihrem Tanz. Foto: Matthias Baus

Trier. Es scheint das ganz große Glück: Die junge Winzertochter Giselle erlebt die Liebe. Und knapp 400 Zuschauer im Trierer Stadttheater sind die Zaungäste. Dem Koblenzer Choreografen Steffen Fuchs ist es gelungen, die Gedanken- und Gefühlswelt der Figuren in dem romantischen Zweiakter sichtbar und nachvollziehbar nach außen zu transportieren. Das Bühnenbild von Dorit Lievenbrück bettet die Handlung vor einer angedeuteten Holzscheune in ein trostloses ländliches Setting, aus dem die Fröhlichkeit und Herzensfülle des Liebespaares erfrischend hervorsticht.
Albrecht und Giselle lieben sich euphorisch und rasen vom Höhenflug in die Katastrophe. Rory Stead und Iskra Stoyanova nehmen den Zuschauer von der ersten Sekunde mit. Leichtfüßig, das Leben umarmend, begegnen sie sich voller Sehnsucht und ganz im Kontrast zu dem steifen, stampfenden Bauernvölkchen, das in klobigen Stiefeletten den Background bildet. Vor ihnen bewegt sich Giselle wie ein Schmetterling vor Motten - keck, bunt, verspielt.
Doch das unbeschwerte Glück bekommt Risse. Markant, ganz im Stil der strengen Gouvernante, unterbricht Nina Monteiro als besorgte und gramgebeugte Mutter Berthe das Liebeswerben. Aber die entscheidenden Weichen der Handlung stellt Hilarion, der eifersüchtige Jüngling, der Albrechts Lügen über seine Herkunft öffentlich entlarvt und so die Katastrophe einläutet. Mit seiner Darstellung bleibt der Tänzer Arkadiusz Glebocki allerdings als blasse Randfigur hinter den Möglichkeiten zurück.
Albrechts Verlobte Barthilde (Irina Golovatskaia), zu der Giselle nichtsahnend Vertrauen fasst, überzeugt dagegen mit ihrem eindrucksvoll anmutigen Tanz. Ganz die Dame von Welt, einer Welt aus der auch der adlige Albrecht stammt. Als Giselle von der wahren Identität ihres Geliebten erfährt, erhält das Stück einen neuen Charakter. Es ist bis dahin auch ausreichend Liebesgeplänkel erzählt.
Giselle windet sich, ihre Bewegungen werden unsicher, sie kann es nicht fassen, erinnert sich an die innige Zweisamkeit voller Harmonie. Dann trifft sie die Einsicht wie ein mörderischer Stich ins Herz. Sie tanzt einen Tanz voller Zerrissenheit und Verzweiflung, die in allen Nuancen sichtbar sind.
Giselle verwandelt sich in eine der Wilis, eine jener Mythengestalten, die Männer in den Tod tanzen. Diese präsentierten sich weiß betucht in einem Schleiertanz, der als naiv empfunden werden konnte, so wie er die kindliche Vorstellung von Geistern aufgriff. Den künstlerischen Akzent setzte an dieser Stelle Asuka Inoue als Königin Myrtha.
Insgesamt bleibt der Eindruck einer soliden Aufführung mit Bewunderung für die Hauptdarsteller und großem Respekt für das Philharmonische Orchester der Stadt Trier. Angesichts dieses Angebots zeigte sich mancher Theaterfreund "entsetzt" über die nur zu drei Vierteln gefüllten Ränge. Der Aufwand war immens, um Trier, das keine klassische Compagnie vorhält, mit dem einmaligen Gastspiel eine Ballettinszenierung zu bieten. Das Publikum jedenfalls war sehr dankbar. sys

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort