Klettern auf dem Gerüst im Kopf

Trier · Er ist motzig, er will Veränderung, er ist Faust. Das Theater Trier präsentiert mit "Faust I" ein surreales Gedankenspiel, bei dem die Verständlichkeit oft hinter der Verspieltheit zurückbleiben muss.

Faust betritt, getrieben von seinem trotzigen Wunsch nach Erfahrung, nicht die Außenwelt, sondern die Innenwelt seines Kopfes. Foto: Edouard Olszewski

Trier. Faust hat schlechte Laune. Nach jahrelangen Studien und intensivster Forschung kommt er zu einer Erkenntnis: Alles für die Tonne. Die größten Wissenschaften seiner Zeit beantworten doch die dringlichsten Fragen nicht. Was die Welt eben im Innersten zusammenhält, bleibt ihm ein Rätsel. So wendet er sich den dunklen Künsten zu, dass ihm wenigstens ein Geist (Juliane Lang) flüstern kann, was ihm die Bücher so eisern verschweigen.
Wortgewaltiges Gedankenspiel


Der klassischste unter den klassichen Stoffen, so heißt es im Programmheft, das das Theater Trier zur Premiere von "Faust I" herausgibt. Goethes wort- und weisheitsgewaltiges Lebenswerk wird in Trier zu einem surrealen Gedankenspiel. Tilman Rose als Faust wandelt mit goldener Krone, die er sich selbst aufgesetzt hat, durch ein Baugerüst, dessen Vorderseite ein gewaltiger Schattenriss seines Hauptes ziert. Dieser ebenfalls "gekrönt" durch den Ring eines Jahrmarktskarussells.
Das Bühnenbild, ebenso wie die Kostüme (Birgit Klötzer und Anna Sörensen) machen offensichtlich, worum es im Stück geht: Faust ist nicht auf einer Reise durch das Außen, sondern durch das Innen.
Mephisto, gespielt vom neuen Ensemblemitglied André Meyer, geleitet ihn durch sein eigenes (Unter-)Bewusstsein. Dort begegnet er Figuren, die sein Innerstes widerspiegeln: das kindlich-ungestüme (Ronja Oppelt), das weltabgeklärte Alter (Claudio Gatzke), das beißende Gewissen (Gitte Reppin), und nicht zuletzt das liebende Herz in Gestalt von Gretchen (Gina Haller).
Faust und seine Alter Egos, schön verdeutlicht durch die Kostüme, die leichte Abwandlungen voneinander sind, klettern im Baugerüst seines Kopfes auf und ab. Jeder auf seine Weise ist beeinflusst durch Fausts Handlungen: Faust schluckt ein Tränklein Mephistos, Reppin und Julian Michael Boine, der mit Hemd und Hosenträgern einen überbraven Gottverschnitt gibt, ersticken fast an dem Gebräu. Faust lässt sein schwangeres Gretchen zurück, Gretchen fällt vom Glauben ab, Boine bricht zusammen.
In einem letzten Versuch, Faust zur moralischen Umkehr zu zwingen, wird er von Mephisto symbolisch niedergestochen.
Gott ist tot. Seine Totenmaske ist eine gesichtslosmachende Strumpfhose, die er sich über das Haupt zieht. Im Verlaufe des Stückes merzen Faust und Mephisto so alle Teile von Fausts Bewusstsein aus. Faust macht im Kopf Tabula rasa, erwacht geklärt, geläutert, ohne Gewissen, ohne Reue, ein neuer Mensch.
Herausragend, weil eben nicht wie erwartet, ist die Rolle des Mephisto. André Meyer macht aus dem Geist, der stets verneint, einen raubeinigen, gewaltverströmenden Grobian. Mit Gauklerhose und gekrempeltem Hemd ist er eine Mischung aus Knastbruder und Relikt einer längst vergangenen Zeit. Eine allgegenwärtige, spürbare Bedrohung, der sich der selbstherrliche Faust nicht bewusst wird. Ebenfalls bemerkenswert ist das Gretchen von Gina Haller, nicht naiv, sondern schüchtern, kann sie ihrem Liebesglück nicht trauen. Ihr Körper kann soviel Glück und Gefühl auf einmal gar nicht fassen, sie zuckt und windet sich vor lauter Liebe.
Nicht sanft und zart, sondern in sich gekehrt und weltverschlossen, lässt sie sich auf Fausts Spiel ein und verliert auf ganzer Linie: Die Mutter vergiftet, das Baby ertränkt, sie selbst zerfällt. Am Ende bleiben auch für sie nur die Strumpfmaske und der Rückzug in den hintersten Winkel des Baugerüsts, wo die anderen schon warten.
Längen und Unsauberkeiten


Die Inszenierung von Ronny Jakubaschk ist durchdacht, weist aber an manchen Stellen Längen und Unsauberkeiten auf: Es zieht sich besonders zu Anfang, wenn Faust noch auf der Vorderbühne sein Dasein fristet, bevor sich der Vorhang hebt und er sprichwörtlich in die Tiefe gehen kann.
Unsauber wird es dann besonders, was die Textverständlichkeit angeht. Gina Haller ist gerade in den starken Momenten kaum noch hörbar. Auch in den zwölf Liedern, die eine weitere Zugangsebene in Goethes Text gegeben hätten, versuppt vieles.
Wunderbar dafür die Details im Spiel, dass immer surrealer und kindlicher wird. Das Baugerüst-Geturne erinnert bald an Spielplatz und verstärkt so die Absurdität und Weltferne der Handlung. Scheinbar hat nichts Konsequenzen, es bleibt eben alles ein Gedankenspiel.
Weitere Termine in dieser Spielzeit: 9., 12., 29. Oktober, 5., 12., 20., 27. November, 10., 28. Dezember, 10. Februar, 6., 16. , 27. Mai.