Knusperhexe als Joker: Premiere von "Hänsel und Gretel" im Trierer Theater

Trier · Sie lief zunächst einigermaßen durchschnittlich ab - Triers "Hänsel und Gretel"-Neuproduktion. Aber nach der Pause riss Countertenor Fritz Spengler als Knusperhexe alles heraus. 600 Premierenbesucher jubelten. Und hatten dabei ganz sicher nicht nur die aktuelle Vorstellungsreihe im Blick, sondern mehr: den Fortbestand des Trierer Theaters.

 Hänsel (Yajie Zhang) in höchster Not. Die Knusperhexe (Fritz Spengler) will ihn braten. Fotos: Edouard Olszewski

Hänsel (Yajie Zhang) in höchster Not. Die Knusperhexe (Fritz Spengler) will ihn braten. Fotos: Edouard Olszewski

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Sie sprangen nach der Premiere von Humperdincks "Hänsel und Gretel" einträchtig von den Trierer Theatersesseln auf. Nicht nur die notorischen Jubler im Hochparkett bekundeten lautstark Zustimmung, sondern das gesamte Publikum. Das sah bis zur Pause noch ganz anders aus. So rasch hat sich an der Mosel noch keine Theaterpremiere gedreht. Angefangen hatte sie mit einer mühseligen Geduldsprobe. Nachdem Statisten eine obskure Holzkiste auf die Bühne gewuchtet hatten, passierte erst einmal nichts.

Bis jemand auf der Bühne das Eröffnungslied anstimmte und der Klarinettist im Graben übernahm. Erst dann setzten das nicht ganz stabile Hornquartett und die Fagotte ein, und man atmete auf: endlich!

Leider blieb das szenische Gesamtresultat zunächst einmal ziemlich unprofiliert. Bernhard Siegls Opernregie-Erstling war immer wieder geprägt von Unsicherheit und, vielleicht, mangelndem Mut zu unkonventionellen Einfällen. Das gesamte erste Bild (Ausstattung gleichfalls Bernhard Siegl) spielte sich vor besagter Holzkiste und rund um einen Haufen von Besenreisern ab, der mit lautem Knall aus dem Schnürboden herunterrauschte. Auch beim zweiten Bild bleiben Fragen offen: Warum nur beließ Siegl ausgerechnet den an sich einfallsreich gestalteten Zauberwald in tristem SchwarzWeiß? Mehr Farbe verbreitete die futuristische Projektion des Hexenhauses - aber da hatte sich in der Premiere ohnehin schon alles geändert.Defizite und muntere Kinder

Auch in der Personenführung blieben Defizite. Jedenfalls wird nicht recht klar, wie die beiden Kinder zueinander und zur Mutter stehen. Schließlich erfreute die Choreographie von Victor Alfonso Zapata Cardenas in der Pantomime durch muntere Kinder, blieb aber im Übrigen ohne dramatische Prägnanz.

Dabei gab es nach dem langatmigen Start auch Grund zur Genugtuung. Dirigent Victor Puhl und der assistierende Kapellmeister Wouter Padberg hatten mit Philharmonikern und Sängern sorgfältig gearbeitet. Zwischen Bühne und Graben ging nichts aus dem Leim. Puhl ließ das Orchester zudem voll ausspielen und brachte die reiche Instrumentierung und die zahlreichen Motiv-Verschränkungen bei Humperdinck zum Klingen. Instrumentalstücke wie der Hexenritt im zweiten und die Pantomime vor dem dritten Bild waren Anlass zu reinster Hörfreude.

Ein Dilemma allerdings tat sich nicht selten bei dieser Oper auf. Wenn das Orchester im Graben die Partitur ausspielt, wird es für die Akteure oben eng. Sie müssen mit beträchtlichem Stimmeinsatz dagegenhalten. Kein Wunder, dass Eva Maria Amann als Gretel die Gesangskultur hinten anstellte und auf Volumen setzte.

Beim Hänsel von Yajie Zhang musste sich die Intonation erst einmal einpendeln. Mutter Bernadette Flaitz setzte ganz auf Klang und blieb sprachlich völlig unverständlich. Gut, dass man Übertitel einspielte. Wenn der Schalldruck aus dem Graben allerdings mal nachließ, dann entdeckten Amann und Zhang (außerdem Frauke Burg als Sand- und Taumännchen) ihre Fähigkeit zur Stimmkultur und sangen den beliebten Abendsegen erstaunlich klangschön und intonationsrein.

László Lukács als Vater behauptete sich ohnehin souverän über den Orchesterwogen, klang aber gelegentlich zu sehr nach Verdi und könnte an seiner deutschen Aussprache noch feilen. So plätscherte die Premiere vor sich hin - ein bisschen lustig, ein bisschen dröge, vorzüglich im Orchester, insgesamt meist auf Durchschnittsniveau und vor der Pause mit eher lauem Beifall bedacht.

Aber gemach, gemach: Das Theater hatte noch einen Joker im Ärmel. Ausgerechnet Fritz Spenglers Knusperhexe wandelte sich im zweiten Teil zum rettenden Engel. Auf Rollen und im Biedermeier-Reifrock rauschte er über die Bühne - ein bisschen heiter, ein bisschen bedrohlich und immer umwerfend bühnenpräsent. Und das Schönste: Im Gegensatz zu vielen Contratenören kommt Spengler nicht mit einer neutralen Spitalstimme daher, sondern lieferte satte Tonfülle und setzte sich damit gegenüber dem Orchester durch. Und mit einem Mal war die Premiere verwandelt - fesselnd, lebendig, witzig, spontan, kurz: rundum ein Vergnügen.Singen aus voller Seele

Von nun an lief alles wie am Schnürchen. Da expedierten Hänsel und Gretel die Hexe in den Ofen, heben den Zauber über die Lebkuchenkinder auf. Und die versammelten sich auf der Bühne und preisen ihre Befreiung. Der Kinder- und Jugendchor des Theaters (Martin Folz) legte alle Schüchternheit ab und sang aus voller Seele. Und wenn sich am Ende Textautorin und Komponist zu einer Moralpauke aufraffen ("böse Werke dauern nicht"), verschwinden die Eltern in der Kiste, die jungen Leute können wie Erwachsene ihrer Wege gehen und empfehlen sich mit ihrem Gesang gleich zur Mitwirkung bei weiteren Inszenierungen. Vielleicht wird in künftigen Vorstellungen der matte erste Teil noch angesteckt von der Brillanz im zweiten. Dann wäre diese Produktion rundum geglückt.

Weitere Vorstellungen sind geplant am: Mittwoch, 21. Dezember, Freitag, 23. Dezember, Montag, 26. Dezember, Freitag, 30. Dezember, Sonntag, 15. Januar, Sonntag, 22. Januar, Dienstag, 24. Januar, Mittwoch, 1. Februar, Freitag, 24. Februar, Mittwoch, 1. März, Samstag, 1. April.

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