KOLUMNE

Schon wieder verliert die Republik eine Institution, eine der wenigen, die noch geblieben sind in dieser schnelllebigen Zeit. Auf Sie, liebe Frau Kling war wenigstens Verlass. Sie haben länger amtiert als Helmut Kohl, sagenhafte 21 Jahre.

Mehr als zwei Jahrzehnte als Keifzange vom Dienst, als bajuwarische Blockwartin, von berechenbarer Unfreundlichkeit gegenüber jedermann, misstrauisch gegen alles Unbekannte, kurzum: als Verkörperung des deutschen Spießertums, wie es vergleichbar allenfalls noch Helmut Qualtingers "Herrn Karl" für die Österreicher gelungen ist. Ich hatte ja immer den leisen Verdacht, Sie, Frau Kling und ihr Sohn Olaf seien ursprünglich nichts anderes gewesen als die späte Rache Ihres Alt-68er-Produzenten Hans Geißendörfer am bodenständigen Teil der deutschen Bevölkerung. Da spielt die ganze "Lindenstraße" in München, und die einzigen beiden Bayern, die in der Serie vorkommen, sind ein rechtsradikaler, gewalttätiger Würstchenverkäufer und eine bigotte alte Schreckschraube, die ihren Ehemann Egon, einen grundgütigen Westfalen, früh ins Grab vergrämt hat. Aber da hat er sich verkalkuliert, der feine Herr Produzent. Denn Sie, verehrte Frau Kling, haben ihm ein Schnippchen geschlagen und sind einfach Kult geworden. Dank Ihrer herzerfrischenden "political uncorrectness" und Ihrem Mut zur Hässlichkeit gleichermaßen bei inneren wie äußeren Werten. Es geht doch nichts über ein ordentliches Hass-Objekt. In wie vielen Familien sah man wohl sonntagsabends im Geiste die eigene Schwiegermutter, Erbtante oder Vermieterin vor sich, wenn Sie wie Zerberus im Treppenhaus wachten und hinter den Passierenden her bellten? Alles vorbei. Herr Geißendörfer, der gemeine, lässt Sie am Sonntag sterben. Ich bin gespannt, was er Ihnen antut: Erfroren wie der arme Herr Schildknecht, vom Auto zermalmt wie Benny Beimer, vom eigenen Sohn getötet wie Kurt Sperling, mit der Bratpfanne erschlagen wie Pastor Steinbrück, von Aids dahingerafft wie Benno Zimmermann? Oder gar suizidiert wie Amelie von der Marwitz? Dabei hätte es bei Ihnen wirklich nicht so endgültig sein müssen. Eine lange Auslandsreise mit Hoffnung auf ein Wiedersehen hätte es doch auch getan. Aber vielleicht ist noch nicht alles verloren. Bobby Ewing war damals auch schon tot, und dann tauchte er doch wieder auf, unter der Dusche. Aber wenn ich mir in Ihrem Fall den Kamera-Zoom so vorstelle...Dieter Lintz

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort