KOLUMNE

fast 29 Jahre waren Sie für mich das Gesicht auf der Tafel Kinder-Schokolade und mein treuer Begleiter, in guten wie in schlechten Tagen: an Ostern, Weihnachten, Geburtstagen und manchmal heimlich unter der Bettdecke.

Unsere Zusammenkünfte waren gewiss mehr als eine Zweckgemeinschaft. Zumindest für mich. Selten habe ich mich mehr gefreut, jemanden zu sehen. Ihr schelmisches Grinsen auf der Tafel-Verpackung war für mich so etwas wie die personifizierte Glückseligkeit. Und jetzt das: Gestern habe ich eine Tafel Kinder-Schokolade gekauft und - weg waren Sie. Einfach so. Ausgetauscht. Wegrationalisiert. Von einen jüngeren Kollegen ersetzt. Und ich dachte immer, Kinder-Schokolade sei das letzte Stück heile Welt in Deutschland. Die acht Schokoladenriegel, ökologisch nicht wertvoll, weil einzeln verpackt, schmecken natürlich auch nicht mehr so gut. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe den Test gemacht. Als vielleicht Letzte habe ich eine Tafel mit Ihrem Konterfei erwischt, mein Kollege hatte bereits die New-Age-Version. Die mit Ihrem Gesicht war eindeutig zarter, lockerer, auch die Extra-Portion Milch war größer. Da dürfen sich die deutschen Eltern nicht wundern, wenn ihre Kinder in Zukunft noch mehr Karies bekommen oder unter noch fetterer Fettleibigkeit leiden. Der Neue auf der Packung sieht auch nicht so gut aus wie Sie, so aalglatt und gel-gestylt wie er daher- kommt. Und gelbe Zähne hat er auch, trotz der mittlerweile guten Möglichkeiten der digitalen Foto-Bearbeitung. Nicht so wie Sie mit Ihren unglaublich weißen Beißerchen. Wenigstens die blauen Augen sind geblieben. Wenn auch nicht so strahlend. Was aber viel schlimmer ist als der Neue selbst: Jetzt, wo Sie uns Kinder-Schokoladen-Jünger nach 30 Jahren verlassen haben, merke ich erst, wie alt ich wirklich bin. Und das so kurz vor meinen Geburtstag. Ein Drama. Zumindest für mich, meine Freunde und Verwandten und den Weihnachtsmann. Denn zum Geburtstag dürfen Sie mir dieses Mal die obligatorische Tafel mit den acht Riegeln und der Extra-Portion Milch nicht schenken. Selbst bis Weihnachten werde ich den Schock nicht verdaut haben. Gott sei Dank gibt es noch den Osterhasen. Petra Willems

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