Komm, wir hauen einfach ab

Vergessen wir all die Feuilleton-Debatten um "wichtige" Romane, um richtige oder falsche Buchpreisträger, um das, was "Gegenwartsliteratur" alles sein und können soll. Denn jetzt haben wir ja "Tschick", den ergreifend schönen und gewitzten Roman von Wolfgang Herrndorf.

 Beim Eifel-Literatur-Festival erhielt Wolfgang Herrndorf 2008 den Förderpreis. TV-Foto: Fritz-Peter Linden

Beim Eifel-Literatur-Festival erhielt Wolfgang Herrndorf 2008 den Förderpreis. TV-Foto: Fritz-Peter Linden

Berlin. Wolfgang Herrndorf (vor zwei Jahren erhielt er in Bitburg den Förderpreis beim Eifel-Literatur-Festival) lässt in seinem Roman "Tschick" einen anfangs ordentlich unglücklichen Erzähler auftreten: Maik Klingenberg aus Berlin-Marzahn, 14 Jahre alt und alles andere als populär. Im Urteil seiner Klassenkameraden pendelt er zwischen "Langweiler" und "Psycho". Auch daheim sieht es nicht gut aus: Maiks Eltern sind pleite, die Ehe im Eimer, der Vater geht fremd und die Mutter zur Entziehungskur.

Und dann lässt auch noch die angehimmelte Tatjana den armen Maik hängen, indem sie ihn nicht zu ihrem Geburtstag einlädt. Was macht man da? Man haut ab. Denn da ist ja noch Andrej, Nachname Tschichatschow, was keiner aussprechen kann. Deshalb: Tschick. Und der hat in der Klasse noch viel weniger zu melden als Maik.

Aber Tschick weiß, wie man Autos knackt. Und so rumpeln die beiden los in einem ranzigen Lada, mit zu wenig Proviant (der auch bald ranzig wird), einem fernen Ziel und, Gipfel der Ranzigkeit, Richard-Claydermans größten Klimperhits im Kassettenspieler, weil nichts anderes im Wagen zu finden war.

Der Beginn eines großen Abenteuers



Die Fahrt ins Fremde ist der Beginn eines großen Abenteuers und, klar, einer wunderbaren Freundschaft. Hier lauern natürlich jede Menge Assoziationen am Straßenrand: Roadmovie, Initiationsroman, berühmte Fluss- und Irrfahrten anderer jugendlicher Heroen. Das alles passt zwar, aber "Tschick" besteht die Vergleichsprüfung. Dass Herrndorf außerordentlich komisch schreiben kann, das hat er bereits in seinen vorigen Büchern ("In Plüschgewittern", "Diesseits des Van-Allen-Gürtels") bewiesen. Aber diesmal macht er noch mehr. Er nimmt uns mit auf eine verzauberte Reise durch verlorene Landschaften, in die Gedankenwelt eines verzweifelten Jungen, der uns sofort für sich einnimmt. Der uns in einer Sprache gegenübertritt, die sich überhaupt nicht scheinjugendlich ranwanzt - und echt klingt. Und er berührt. Ganz abgesehen von dem großen Spaß, den das Buch bereitet.

Am Ende der Geschichte ist viel kaputtgegangen, die Helden kehren schwer lädiert und ein bisschen erwachsener zurück. Das Wesentliche aber, das wird heil. Sogar Tatjana beginnt sich für Maik zu interessieren. Der aber hat das inzwischen nicht mehr nötig.

Nachtrag: Wolfgang Herrndorf ist schwer erkrankt, er berichtet darüber in seinem Blog. Das ist erschütternd zu lesen. Aber er schreibt. Am nächsten Roman.

Wolfgang Herrndorf, Tschick, Rowohlt, 256 Seiten, 16,95 Euro, ISBN 978-3871347108

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