Kommentar: Zurück zur Sache

Das Problem bei den Wittlicher Kalamitäten ist, dass sich mehrere völlig unterschiedliche Konflikte fatal vermengt haben.

Da ist zunächst die Reizfigur Justinus Maria Calleen. Es ist nicht gelungen, die Reibungshitze, die der Meistermann-Enkel erzeugt, in Treibstoff für die Wittlicher Kultur umzuwandeln. Ob Calleen zu abgehoben war oder das Umfeld zu provinziell, ist eine Glaubensfrage. Aber auch wenn sein Abgang eine schäbige Politposse war: Das Thema ist durch. Es bringt nichts, die gleiche Schlacht immer wieder zu schlagen. Und lernen kann man daraus allenfalls, dass die Vermischung von Beruflichem, Persönlichem und Politischem letztlich allen schadet.

Der zweite Konflikt dreht sich um die komplizierte Frage, was denn eigentlich Kunst ist, was Hobby und was Handwerk. Klar: Nicht alles, was jemand malt oder gestaltet, ist schon Kunst. Aber wer zieht da die Grenze? Scherl ist fraglos kein Meistermann, aber sagt das schon, dass er nicht unter einem Dach mit Meistermann ausgestellt werden darf, um eines ominösen Qualitätsbegriffs willen? Eine Kommune muss doch einen "regionalen Künstler" in einem von ihren Bürgern finanzierten Raum präsentieren können, auch wenn er nie einen Platz im Großen Kunstalmanach findet.

Konflikt Nummer 3 ist die Nazi-Vergangenheit. Da wäre es hilfreich, wenn die Scherl-Fraktion aufhören würde, so zu tun, als sei es eine Frechheit, darüber zu reden. Und die dumme und verharmlosende Aussage der Verwaltung, Scherl habe dem Nationalsozialismus nicht näher gestanden als "die meisten anderen Menschen in dieser Zeit auch", muss vom Tisch. Die Mehrheit war eben nicht Partei-Genosse, zum Glück.

Im Gegenzug sollten die Scherl-Gegner von ihrem Pauschalurteil abrücken, Scherl sei ein "Nazi-Künstler". Kein Mensch käme auf die Idee, Martin Walser oder Siegfried Lenz als "Nazi-Künstler" zu bezeichnen, obwohl sie NSDAP-Mitglieder waren. Das hat doch auch mit individuellen Umständen und der späteren Lebensleistung zu tun. Und die sind längst nicht hinreichend erforscht.

Gibt es noch einen Weg aus der verfahrenen Situation? Es gäbe einen. Die Scherl-Ausstellung findet statt, und zwar ruhig da, wo sie die meiste Aufmerksamkeit erhält, nämlich im alten Rathaus. Der selige Meistermann wird das aushalten, wenn gesichert ist, dass die Werkschau keine Jubelarie und kein Weißwäscher-Kongress wird. Sondern dass Scherls Nazi-Verstrickungen Gegenstand der Aufmerksamkeit und der Aufarbeitung sind. Nicht zum Zwecke des "Entlarvens", sondern zum Analysieren und Verstehen. Unter Einbeziehung kundiger und kritischer Historiker.

Die Zeit ist knapp. Es geht darum, Schaden von Wittlich abzuwenden. Aber interessiert das noch einen der Streithähne?

d.lintz@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort