Thriller-Regisseur Kritik - Essay und Bildband würdigen Alfred Hitchcock
Ein Essay und ein Bildband würdigen einen der besten Regisseure der Filmgeschichte: Alfred Hitchcock.
Zwei Bücher, die hinsichtlich Umfang, Format und Gestaltung nicht unterschiedlicher sein könnten, erweisen einem Großmeister der Filmkunst Reverenz. Da ist zum einen, kurz und knapp, 100 Seiten eben, wie die entsprechende Reclam-Reihe heißt, die Kurzbiografie und Werkswürdigung des Autors und Journalisten Alexander Kluy, zum anderen der knapp 700 Seiten schwere, üppig bebilderte Band aus dem Kölner Taschen Verlag, den Paul Duncan herausgegeben hat. Beide tragen den gleichen Titel: „Alfred Hitchcock“.
Kluy nimmt den Leser mit auf eine geradezu rasante Reise durch das 81 Jahre dauernde Leben und das 54 Jahre währende Schaffen des Engländers. Biografisches reißt er nur kurz an, widmet sich dafür ausführlichen Filmanalysen ab „The Lodger“ (1927), dem ersten Film, der Spuren in der Filmgeschichte hinterlassen sollte und der ein Filmmagazin dazu veranlasste, den gerade 28-jährigen Regisseur bereits zu „Alfred the Great“ zu küren. Nur ein Jahr später war Hitchcock mit einem Jahresgehalt von 13 000 Pfund der bestverdienende englische Filmregisseur.
Seine Genialität, die sich nicht zuletzt in einer neuen, das junge Medium revolutionierenden Filmsprache zeigte (deren Grammatik er übrigens zum Teil bei Friedrich W. Murnau in Babelsberg gelernt hatte, als beide Regisseure 1925 gleichzeitig dort drehten), entwickelte er im Laufe der nächsten Jahrzehnte zu einem individuellen „Hitchcock-Touch“, der seine mittlerweile als Meisterwerke gehandelten Filme mehr oder weniger prägt. Filme, das arbeitet Kluy ebenfalls in aller gebotenen Kürze heraus, die viel über die Psyche des Mannes verraten, der sein Innenleben weitgehend vor der Öffentlichkeit verbarg.
Dass dieses auch dunkle Seiten hatte, die Hitchcock in Zeiten der „#metoo“-Debatten zweifellos zur „persona non grata“ abgestempelt hätten, lässt er dabei nicht unerwähnt. Tippi Hedren, die Hauptdarstellerin aus „Die Vögel“, in ihrer kühlen, unnahbaren Blondheit eine Reinkarnation der von Hitchcock über die Maßen geschätzten und bewunderten Grace Kelly, fühlte sich von ihm sexuell, psychisch und physisch so sehr unter Druck gesetzt, dass sie nach Ende der Dreharbeiten einen Nervenzusammenbruch erlitt und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.
Neben den Blondinen in seinen Filmen gab es eine Frau, die maßgeblich an „Hitchs‘“ Erfolgen beteiligt war, jedoch stets im Hintergrund blieb: Alma Reville, eine erfahrene Cutterin, die auch als „Second Assistant Director“ arbeitete, lernte „Hitch“ 1921 kennen. Fünf Jahre später heirateten sie. Ironischerweise beklagt Kluy zwar, dass sie in Nachrufen auf Hitchcock „nur peripher“ gewürdigt wurde, widmet ihr aber auch kaum mehr als zehn Zeilen im ganzen Buch.
Wenn der Reclam-Band die Kurzfassung von Hitchcocks Schaffen ist, so blättert der voluminöse Band aus dem Kölner Taschen Verlag sein Leben und Werk im Breitwand-Format auf. Herausgeber Paul Duncan berichtet vor allem in Bildern über die Karriere des Briten, der sowohl in seiner Heimat als auch auf der anderen Seite des Atlantiks Erfolge (aber auch Misserfolge) sammelte. Nicht nur Film-Stills, auch Bilder von den Dreharbeiten und Hitchcocks privatem Fotoalbum dokumentieren das Leben eines Künstlers, dessen Einfluss auf nachfolgende Filmemacher kaum zu unterschätzen ist – genannt seien nur François Truffaut, Brian de Palma, Martin Scorsese, Quentin Tarantino, Steven Spielberg und nicht zuletzt zahlreiche James-Bond-Filme. Und auch über die Wirkung seiner Filme auf seine Zuschauer machte Hitchcock sich (ironische) Gedanken: „Das Problem ist, dass jeden Tag jemand das perfekte Verbrechen begeht – eines, das nicht aufgedeckt wird. Da das Verbrechen nicht aufgedeckt wurde, weiß ich ja nicht, ob man mich nachgeahmt hat.“ Auch darüber, was seine Filme letztlich so erfolgreich gemacht hat, hat er sich, mindestens genauso gut wie die zahllosen Interpreten seiner Werke, ausgelassen: „Ich glaube nicht, dass viele Leute Wirklichkeit wollen, ob im Theater oder in einem Film. Es muss real aussehen, aber es darf nie real sein, denn Realität ist etwas, das niemand von uns jemals aushält.“
Trotz seines enormen Einflusses und Einfallsreichtums: Alfred Hitchcock konnte zwar zahlreiche Preise einsammeln – einen Oscar jedoch, Krönung der Laufbahn eines jeden Filmschaffenden, hat er nicht bekommen – nicht einmal einen „Trost“-Oscar für sein Lebenswerk.
Alexander Kluy, „Alfred Hitchcock“, 100 Seiten, Reclam Verlag, 10 Euro.
Paul Duncan (Hg.), „Alfred Hitchcock. Sämtliche Filme“, Taschen Verlag, 688 Seiten, 30 Euro.