Die Kulturmacher Hier gibt es kein Richtig, kein Falsch

Wenn in Italien ein Kita-Team aufgebaut wird, gehören Schreiner und Bildende Künstler oft wie selbstverständlich dazu. In Deutschland kommen die wenigsten auf die Idee, Begegnungen mit der Kunst für so fundamental zu halten. Dies zu ändern hat sich in Trier eine Gruppe von Frauen auf die Fahnen geschrieben.

Die Mitarbeiterinnen der Kulturellen Bildung mit Sitz in der Tufa in Trier kümmern sich um Projekte wie Kunstjolle, Kunstfähre und demnächst die Kunstresidenz.

Die Mitarbeiterinnen der Kulturellen Bildung mit Sitz in der Tufa in Trier kümmern sich um Projekte wie Kunstjolle, Kunstfähre und demnächst die Kunstresidenz.

Foto: Kunstjolle

Eine Grundschülerin in Trier-Biewer läuft am Nachmittag aufgeregt zur Direktorin. „Die Bauarbeiter singen“, ruft das Mädchen erstaunt. Die Bauarbeiter? In Wahrheit ist es Svetislav Stojanovic, Opernsänger des Trierer Theaters, der den Kindern etwas zeigt, was sie noch nie gehört haben. „Dieses Fremdheitserlebnis“, schwärmt Christina Biundo, die dabei war, „dass ein Opernsänger auf dem Schulhof stand und eine Arie sang, das war so fremd, dass es niemand einordnen konnte.“ Biundo hat Stojanovics Besuch in der Grundschule mitinitiiert, weil sie den Wert solcher Begegnungen mit Kunst – ob als Bildende Kunst, Musik oder Theater – sehr schätzt. Biundo leitet die Servicestelle Kulturelle Bildung Rheinland-Pfalz in Trier, unter deren Dach viele solcher Projekte angestoßen und begleitet werden. „Am Ende“, erzählt sie in ihrem Büro in der Tufa, „saßen die Kinder um diesen Sänger herum, haben dem an den Lippen gehangen und mit ihm gesungen. Auch Opern gesungen, wie ein Kind nie eine Oper singen würde.“

Szenenwechsel. In der Kita Walburga-Marx-Haus in Trier-West macht Künstlerin Katharina Worring ihr „Sammelsachenkramkunst“-Projekt mit acht Kindern. Die Auserwählten sammeln Dinge, die sie interessieren und entwickeln daraus ein eigenes Objekt. Da wird geklebt, gebündelt, geknotet, geheftet oder gebunden. Und Geschichten werden gelesen. Was alles entstehen kann aus Kastanien, Stöckchen, Moos, Holzteilen oder Stoffresten, zeigten die Kinder dann in einer Ausstellung in der Europäischen Kunstakademie in Trier. Und besuchten selbst, begleitet von Mitgliedern des Kunstvereins Junge Kunst, eine richtige Kunstausstellung.

Erfahrungen zeigen, dass Kinder, die erst im Grundschulalter mit künstlerischen Angeboten in Berührung kommen, oftmals mit freien kreativen Tätigkeiten nicht mehr erreichbar sind“, erklärt Pä­dagogin Aloysia Melchior vom Team Kunstjolle, das unter dem Dach der Servicestelle in den Räumen der Tufa arbeitet. Seit 2019 setzt sie sich mit dem Projekt Jolle dafür ein, schon kleinen Kindern Begegnungen mit Kunst zu ermöglichen. Das kann ein Ukulele-Workshop sein oder ein Live-Konzert, zum Beispiel mit dem Percussion-Ensemble Fourschlag. „Qualitativ hochwertige Kulturelle Bildung“ könne wichtige Freiräume im Alltag von Kindern schaffen, die die Basis seien für kreatives Tun.

„Kultur macht stark“ heißt denn auch Motto und Titel eines der Kunstjolle übergeordneten Programms des Bundesbildungsministeriums. Es fördert Projekte vor Ort, um Bildungschancen zu verbessern. „Es geht in allen unseren lokalen Projekten darum, dass die Kinder die Zusammenarbeit mit einem professionellen Künstler oder einer Künstlerin erleben“, sagt Judith Reidenbach, Leiterin der Beratungsstelle, die dabei hilft, Künstler und interessierte Bildungseinrichtungen zusammenzubringen. Reidenbach sorgt dafür, dass an „Kultur macht stark“ in der Region Trier möglichst viele Menschen teilnehmen.

Was aber ist daran so anders als die in Kitas und Schulen übliche Bildungsarbeit? „Es ist ein riesiger Unterschied“, erklärt Melchior, die eine der sechs Frauen ist, die in Trier für mehr kulturelle Bildung kämpfen. „Eine Erzieherin guckt aus pädagogischer Sicht, nicht aus künstlerischer. Die Pädagogik ist ergebnisorientiert, guckt nach Kompetenzen, nach Mehrwert, nach Richtig und Falsch – und die Kunst tut das nicht.“ Folglich habe das Angebot eines künstlerischen Freiraums eine ganz andere Qualität als die üblichen Beschäftigungen.

Steckt dahinter die Idee, dass jeder Mensch in Künstler ist? „Nein“, stellt Biundo klar, das nicht. Beuys sei in diesem Punkt oft falsch verstanden worden. Es gehe um eine Begegnung mit Kunst, eine Haltung. „Uns geht es gar nicht um das Ergebnis“, so Biundo. „Das Allerwichtigste ist uns der Moment der Kunst-Begegnung mit jemand, der professionell mit Kunst zu tun hat und dass es da kein Richtig und kein Falsch gibt.“ Folglich werde nichts korrigiert an den Werken der Kinder oder Jugendlichen, sondern vielmehr darüber gesprochen, warum etwas so sein soll, wie es ist.

Kunst oder Pädagogik – ein Widerspruch also? Melchior weist auf Italien, wo man bei der Teambildung teilweise auf eine multiprofessionelle Ausrichtung setzt, wo der Schreiner so sehr in die Kita passt wie die Malerin und die Pädagogin. „Die stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich wunderbar.“ Bei uns sei es „sehr schwierig“, solche Gedanken in Kitas und Schulen zu bringen. Das liege vor allem an der geringen finanziellen Ausstattung der Einrichtungen.

Und so bleiben den Akteurinnen dicke Bretter zu bohren. Erfolge gibt es dennoch: Die Kunstfähre vermittelt 140 Unterrichtseinheiten künstlerisches Arbeiten an Schulen in der Region Trier – pro Woche! Egal, ob es um Grund-, Förder- oder weiterführende Schulen geht. 30 Schulen haben schon mitgemacht. Und manchmal entsteht aus einem Projekt etwas Dauerhaftes wie der ausgezeichnete, etwa 120-köpfige Chor über Brücken.

Anne Heucher

Kontakt: Servicestelle Kulturelle Bildung Rheinland-Pfalz, Telefon 0651/718-3415.

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