UNTERM STRICH – DIE KULTURWOCHE Bubikopf und Werbewichtel
Die 20er Jahre – eine turbulente Epoche? Und wie! Allerdings: Nicht die Gegenwart ist gemeint, von der man das durchaus ebenfalls behaupten könnte. Gemeint sind die „tollen Zwanziger“ oder „roaring twenties“, also die von vor 100 Jahren.
Diese Ära gilt als „Umbruchphase und Experimentierfeld der westlichen Moderne“, verkündet die Bundeskunsthalle in Bonn, die dieser Epoche ab morgen eine umfangreiche Ausstellung widmet. „Die Gleichzeitigkeit und Radikalität dieser Epoche verleiht ihr noch im 21. Jahrhundert eine bemerkenswerte Aktualität“, heißt es in der Ankündigung. Deshalb stehen auch „mögliche Parallelen zu aktuellen Entwicklungen“ im Fokus der Schau, die bisher wenig berücksichtigt wurden. Die 1920er Jahre dienen schon lange als Spiegel der Gegenwart. Konkret geht es um drei große Themenbereiche: die Großstadt als Schauplatz der Moderne, Debatten über neue Rollenbilder von Mann und Frau sowie die Wahrnehmung der neuen Lebenswelten. Ziel sei nicht allein, verbreitete Vorstellungen der „verrückten, wilden Jahre“ aufzugreifen. „Wenn man an die 20er Jahre denkt, kommen sofort Bilder hoch: die Goldenen 20er Jahre, Babylon Berlin”, sagt Kuratorin Agnieszka Lulinska. „Das interessiert uns nur am Rande. Wir versuchen, in die Breite zu gehen.” Die vielleicht größten Veränderungen brachten die 20er Jahre für die Frauen. „Es ist wirklich das Jahrzehnt der Frau. Die Frau raucht, die Frau fährt Auto, die Frau boxt.” Das „working girl” wurde zur Adressatin von Auto- und Zigarettenwerbung und provozierte die Männerwelt mit androgynem Chic. Eine Revolution leitete der in Paris erfundene Kurzhaarschnitt ein, der in Deutschland als „Bubikopf” bekannt wurde. Zu den ausgestellten Werken gehören ein Selbstporträt von Edvard Munch, Aufnahmen der lesbischen Fotografin Claude Cahun und das Gemälde „Fußball” des russischen Malers Alexander Deineka. Die Ausstellung „1920er! Im Kaleidoskop der Moderne” geht bis zum 30. Juli.
Nicht ganz so lange werden die berühmtesten Bewohner der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt in der dortigen Wissenschaftlichen Staatsbibliothek zu sehen sein; sie sind ja auch noch ein paar Jahre jünger: Die Mainzelmännchen laden ein zu ihrem 60, Geburtstag. Die Jubiläumsausstellung zeigt bis zum 9. Juni Hunderte Exponate aus der Karriere der sechs kleinen Zipfelmützenträger. Neben den vielen kleinen Figuren sind in der Ausstellung auch originale Handzeichnungen der frühen Animationen, Zeitungsausschnitte, Videoclips oder Merchandise-Artikel der Fernseh-Wichtel zu sehen, „Ich glaube, vieles kennen die Zuschauer noch gar nicht”, sagt Stefan Thies, Geschäftsführer der Animationsfirma NFP, die die Mainzelmännchen produziert. „Es gibt ein paar Unikate wie den Fastnachtsanzug, die Goldene Schallplatte, Preise oder die Ehrenbürgerurkunde der Stadt Mainz, die sonst nicht gezeigt werden.” Für Bibliotheksdirektor Stephan Fliedner ist es wichtig, „die Menschen, die Arbeit, das ganze Material und die Ideen hinter den Vier-Sekunden-Spots” zu zeigen.
Schließlich haben Anton, Berti, Conni, Det, Edi und Fritzchen über die Jahrzehnte schon so einiges erlebt: Am 2. April 1963 tanzten sie zum ersten Mal als Werbetrenner im ZDF-Programm über die Mattscheibe und sind seitdem zu Maskottchen des Senders geworden. „Das Schöne ist, sie werden nicht alt”, sagt Thies.

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Foto: dpa-tmn/Doreen HassekSeit ihrer Schöpfung durch Wolf Gerlach wurden sie mehrfach weiterentwickelt. Auch die Umgebung der Mainzelmännchen passte sich stets dem aktuellen Zeitgeist an: Aus dem alten Telefon etwa wurde das moderne Smartphone, aus dem Röhrenfernseher das Tablet. no/dpa