Kunst soll richten, was die Politik nicht schafft

Kassel · Die documenta-Ausstellung in Kassel läuft. 100 Tage lang. Der Bundespräsident lobt das mutige Konzept - und hat noch einen Verbesserungsvorschlag.

 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (rechts) und der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos stehen an der Installation „Mill of Blood“ (Mühle des Blutes), dem Nachbau einer Sklavenmühle von Antonio Vega Macotela. Foto: dpa

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (rechts) und der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos stehen an der Installation „Mill of Blood“ (Mühle des Blutes), dem Nachbau einer Sklavenmühle von Antonio Vega Macotela. Foto: dpa

Foto: Swen Pförtner (dpa)

Kassel (dpa) Vorrang für die Kunst: Getreu diesem Motto haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der griechische Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos bei der documenta-Eröffnung in Kassel selbst Hand angelegt. Die beiden Staatsoberhäupter setzten mit Muskelkraft die Zahnräder der "Mühle des Blutes" in Bewegung. Der Nachbau einer Sklavenmühle ist der Beitrag des mexikanischen Künstlers Antonio Vega Macotela zur bedeutendsten zeitgenössischen Kunstausstellung der Welt.
Die ist am Samstag gestartet: 100 Tage lang zeigen Künstler in der nordhessischen Stadt ihre Werke und Darbietungen. Politik ist Thema, steht aber nicht im Mittelpunkt. "Die Kunst hat Vorrang, und das ist gut", sagte Steinmeier. Sein griechischer Kollege erklärte: "Die documenta zeigt, wie Europa der Welt durch die Kultur die Botschaft von Frieden und Gerechtigkeit senden kann." Die Staatsoberhäupter machten einen Rundgang und ließen sich von Künstlern Installationen erklären.
Ein Kunstwerk war bewohnt: Kasseler Studenten schauten aus den Betonröhren, die der Künstler Hiwa K am Friedrichsplatz aufstellen und als Wohnräume einrichten ließ. Dem Bundespräsidenten gefiel offenbar die Idee, doch die Ausführung war ihm zu klein. "Er hat gesagt, wir sollen den Durchmesser vergrößern", sagte Studentin Verena Hutter. Besonders angetan war Steinmeier vom "Parthenon der Bücher". Der mit verbotenen Büchern behängte Tempelnachbau der argentinischen Künstlerin Marta Minujín sei bereits ein Symbol der documenta 14. "Der Parthenon spiegelt die Konflikte unserer Zeit", sagte Steinmeier. Dazu gehöre das Ringen um Vernunft und um den Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit.
Der Bundespräsident bezeichnete die documenta als mutig: "Sie ist eine politische Ausstellung", sagte er. Doch sie lasse sich nicht politisch instrumentalisieren. Dafür habe der künstlerische Leiter Adam Szymczyk gesorgt.
Dass der griechische Präsident zusammen mit Steinmeier die documenta besuchte, liegt an einem Novum in der Geschichte der Ausstellung. Erstmals seit 1955 gibt es neben Kassel mit Athen einen zweiten documenta-Standort. Dort begann die documenta im April und dauert bis zum 16. Juli. "Die Entscheidung war nicht nur mutig, sondern auch richtig", lobte Steinmeier. Man habe von Athen gelernt: "Überprüft eigene Vorurteile, nehmt die Perspektive des anderen ein - nur so lassen sich Gemeinsamkeiten finden", appellierte Steinmeier an die Besucher.
Trotz des zurückhaltenden Auftritts der Präsidenten war der Besuch von Steinmeier und Pavlopoulos ein Ereignis in der documenta-Stadt. Tausende Zuschauer standen an den Absperrungen vor dem Museum Fridericianum und verfolgten den Rundgang. Typisch für die documenta: Das öffentliche Interesse zieht Menschen an, die die Ausstellung als Bühne ihrer Anliegen nutzen. So waren in der Zuschauermenge auch Demonstranten. Die wollten an ein Massaker der Nationalsozialisten in Griechenland erinnern.
Größere Störungen blieben dank starker Sicherheitsvorkehrungen aus: Große Teile des Friedrichsplatzes, des zentralen Standortes der documenta in Kassel, waren abgeriegelt. Auch einige Ausstellungsgebäude blieben wegen des Besuchs der Staatsoberhäupter am Morgen zu, obwohl die Ausstellung bereits lief. Ein Gleitschirmflieger über dem Gelände wurde von einem Polizeihubschrauber schnell aus dem Luftraum eskortiert. Am Mittag verschwanden die Absperrungen: Nach dem Auftritt der Präsidenten strömten Tausende Besucher auf den Friedrichsplatz. Die Bühne gehört allein der Kunst, bis zum 17. September.

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