Kunstgeschichte(n)

"Lisaaaa!" Max\' Stimme schallt durchs Treppenhaus. "Hast du mein Mathematikbuch?" Max\' Schwester kommt aus ihrem Zimmer.

"Hab ich nicht", brüllt sie zurück. Bevor sie wieder in ihrem Zimmer verschwindet, fällt ihr noch etwas ein. "Paul kommt um drei Uhr und holt uns zum Schwimmen ab." Mama kommt aus der Küche. "Was schreit ihr denn so durchs Treppenhaus?", fragt sie ärgerlich. Max schaut frech übers Treppengeländer. "Schreien ist schon immer eine ganz wichtige Art der Übermittlung von Nachrichten gewesen", antwortet er hochnäsig, "das haben wir im Geschichtsunterricht gelernt." Stimmt. Früher, als es noch kein Fernsehen, Radios, nicht einmal Zeitungen oder eine geregelte Postzustellung gab, geschweige denn Handys oder Facebuch und Twitter, da wurden Nachrichten einfach durch Rufen weitergegeben. In uralter Zeit wurden dazu manchmal über eine Strecke in regelmäßigen Abständen Männer aufgestellt, die eine laute Stimme hatten. Wenn der erste eine Nachricht erhielt, zum Beispiel "Der König kommt", schrie er sie dem nächsten zu, und der gab die Nachricht wie beim Staffellaufen dem nächsten weiter. Damit das funktionierte, musste man richtig laut brüllen können. Wer heiser wurde, fiel aus. Auch im Mittelalter (in der Zeit vor 500-1500 Jahren) war das Schreien zum Verbreiten von Nachrichten ganz normal. Könige und Fürsten beschäftigten Nachrichtenschreier, die sie losschickten, wenn sie den Leuten etwas mitteilen wollten. Aber auch viele Städte hatten einen Stadtschreier. Der war sozusagen in einer Person Tagesschau, Nachrichtensprecher und Zeitung. Er hatte eine bunte Uniform mit Hut, damit ihn jeder gleich erkannte. Außerdem zeigte die Uniform, dass er eine wichtige Persönlichkeit war und nicht einfach irgendwelchen Unfug redete. Der Stadtschreier hatte eine Glocke dabei, die er läutete, um die Leute zusammenzurufen. Dann berichtete er mit lauter Stimme, was es an Neuigkeiten gab. Das Schreien musste sein. Schon damals wurde nämlich draußen auf den Straßen jede Menge Krach gemacht. Dass die Nachrichten erzählt wurden, war nicht nur wichtig, weil es damals keine Zeitung gab. Viele Leute konnten überhaupt nicht lesen. Sie konnten nur Bilder anschauen oder eben zuhören. Heute sind die Stadtschreier wieder modern. Es gibt viele Vereine, die sich mit alten Bräuchen beschäftigen. Dazu gehören auch die Stadtschreier. Sie treten auf Mittelaltermärkten und bei Volksfesten auf. Manche Städte haben sogar wieder eigene Stadtschreier, hier in Rheinland-Pfalz zum Beispiel Neuwied. Eva-Maria Reuther

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