Kunst Kommunikationsplattform und Erinnerungsarbeit
Künstler sind auf öffentliche Räume angewiesen, in denen sie ihre Werke zeigen. Was machen sie eigentlich gerade, während der Pandemie? In unserer Serie zeigen wir jede Woche das Werk eines Künstlers aus der Region. Heute: Christine Nicolay.
Zu Hause bleiben, Kontakte vermeiden, Abstand halten: Distanz bestimmt das menschliche Miteinander in Zeiten der Pandemie. „Wie kann ich mich trotzdem austauschen und diese schweren Zeiten reflektieren?“, fragte sich Christine Nicolay angesichts der drohenden Einsamkeit und hatte eine in jeder Hinsicht zeitgenössische Idee. In ihrer „Click-Clack-Tagebücher“-Kunstaktion betätigt sich die Bildhauerin und Kulturpädagogin aus Greimerath bei Wittlich gleichermaßen als Moderatorin wie als Chronistin und Erinnerungskünstlerin.
Kurzerhand bat Nicolay via WhatsApp Freunde und Bekannte, an 27 Tagen mit einer Einweg-Kamera jeweils ein Foto zu machen. Als sogenannte Fotoaufgaben waren Themen vorgegeben. Bäume oder Tiere sollten fotografiert werden. Ein anderes Mal ging es darum, ins Bild zu setzen, „was dir das Wichtigste ist“. „Achtsamkeitsübung“ nennt Christine Nicolay die dadurch bewirkte bewusste Wahrnehmung des eigenen Umfelds wie der individuellen Innenwelt. Bei der Aktion mitgemacht haben 27 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Entstanden sind ebenso viele ganz persönliche „Fototagebücher“, in denen jeweils die täglichen Fotos sowie Kommentare dazu als Collage zusammengefügt sind.
Ein vielfältiges, berührendes, manchmal rührendes Szenario menschlicher Gefühle und Befindlichkeiten tut sich dem Betrachter auf, der die Instagram-Seite aufruft, auf der die „Tagebücher“ veröffentlicht sind. „Corona nervt“ ist da zu lesen. Andernorts wird der Traum zum Fluchtort aus der Pandemie-Ödnis. „Wenn wir in dieser Welt schlafen, wachen wir in einer anderen auf“, steht neben dem Foto einer Schlafenden.
Gesellschaftskritisches ist zum Thema „Baum“ zu lesen: „Stell dir vor, Bäume würden Wlan aussenden, wir würden sie überall pflanzen“, wird das Bild eines mächtigen Baums kommentiert. „Ein Jammer, dass sie nur die Luft produzieren, die wir atmen.“ Liebevolle Zugewandtheit verströmt das Foto der über 90-jährigen Mutter einer Teilnehmerin. Und jemand anderes findet, dass auch in Pandemie-Zeiten ein bisschen Unsinn sein muss.
Ausgesprochen menschlich geht es in den bunten Bildern dieser Tagebücher her, die für Nicolay mehr sind als eine digitale Kommunikationsplattform und Hilfe gegen Vereinsamung. Mit ihrem Engagement will die Künstlerin, die an der anthroposophisch ausgerichteten Hochschule in Alfter ausgebildet wurde, auch Erinnerungsarbeit leisten. Die Erfahrungen der Corona-Zeit müssten dem kollektiven Gedächtnis erhalten bleiben, sagt die Künstlerin. Die Tagebücher sind ihr künstlerischer Beitrag zum „Corona-Gedächtnis“ und sollen mit der gleichnamigen Aktion des Trierer Stadtmuseums Simeonstift verlinkt werden. Ohnehin ist die Kunst für die Bildhauerin, die seit langem auch in der Sterbebegleitung aktiv ist, ein wichtiges Mittel, um Traumata aufzuarbeiten.
Von Ängsten, Träumen und der Sehnsucht nach Freiheit und menschlicher Wärme erzählen auch ihre in der Pandemie entstandenen Filme und Holzschnitte. Wärme wie gegenseitige Achtsamkeit beobachtet die Künstlerin derzeit verstärkt in ihrem Umfeld. „Man achtet untereinander auf sich.“
Eva-Maria Reuther
Die Tagebücher sind einsehbar unter: https://www.instagram.com/clickclack20_21/