La Traviata durch die Windschutzscheibe

LUXEMBURG. Starke Bilder und faszinierende Akteure: Peter Mussbachs Inszenierung von Verdis "La Traviata" bricht mit allen Konventionen und schafft es trotzdem, das Publikum im "Grand Théâtre" zu begeistern.

Und immer fällt der Regen. Dicke, leuchtende Tropfen sausen herunter, ziehen Bahnen auf einer imaginären Windschutzscheibe, finden sich zu kleinen Rinnsalen zusammen oder verschwinden einfach wieder. Peter Mussbachs "Traviata" versetzt die Zuschauer visuell auf den Fahrersitz eines Autos. Schemenhaft ziehen Straßen vorbei, Tunnels, Häuserfluchten. Ab und zu zieht ein riesiger, bühnenhoher Scheibenwischer seine Bahn. Wie bei Autos der Gründergeneration hat er seine Befestigung oberhalb des Fensters, so dass seine Bewegungen wirken wie ein monumentales Uhren-Pendel. Die Zeit der Violetta Valery ist abgelaufen. Schon beim großen Fest am Anfang ist sie leichenblass, die rauschende Ballnacht gerät zum düsteren Totentanz. Die Luxemburger Traviata erzählt die Geschichte der todkranken Kurtisane vom Ende her, als eine Art Delirium. Die letzten Stationen ihres Lebens laufen wie ein Film vor ihr ab, eine endlose, traurige Fahrt über menschenleere Straßen. Und immer, wenn die Hoffnungslosigkeit wieder einmal Oberhand gewinnt, wenn Verdi der Violetta seine zarteste, traurigste Musik geschenkt hat, dann fällt dieser Regen, bei dem man irgendwann einfach nur mitweinen möchte. Mussbachs Konzept ist mutig, durchdacht und konsequent. Aber auch irritierend. Die komplette Bühne liegt hinter Gaze-Vorhängen, die als Fläche für die raffinierten Video-Projektionen dienen. Die permanenten Licht-Effekte sind faszinierend, strapazieren aber auch gelegentlich die Wahrnehmung. So vielschichtig wie die Optik sind die Assoziationen und Gedankenspiele in Mussbachs Inszenierung. Da ist allerlei Denkarbeit bei den Zuschauern gefordert, denn die Regie verknappt die eigentliche Handlung des Stücks fast bis zur Unkenntlichkeit. Man muss "La Traviata" gut kennen, um die Verfremdungen zu verstehen. Für Einsteiger und Opern-Hitparaden-Fans ein Problem. Erstaunlich, dass Intendant Frank Feitler nach weniger als einem Jahr in Luxemburg bereits ein Publikum gefunden hat, das diesen Weg begeistert und sachkundig mitgeht. Vielleicht hat aber der eine oder andere einfach die Augen zugemacht und die zumindest in zwei Partien großartige sängerische Gestaltung genossen. In der Titelrolle macht Mireille Delunsch schon nach kürzester Zeit begreiflich, warum sie seit zwei Jahren europaweit als gestalterische Sensation gefeiert wird. Wer hätte gedacht, wie viele neue musikalische Nuancen man dieser abgegriffenen Partie noch abgewinnen kann? Dabei ist die Stimme im landläufigen Sinn nicht unbedingt schön.Inszenierung und Orchester abseits aller Klischees

Aber die Fähigkeit zur Modulation, das Gefühl für Wechsel in der Dynamik und vor allem die atemberaubenden Piani lassen aufhorchen. Und das filigrane Rollenporträt einer verzweifelten, schwankenden, an ihrer Umwelt zerbrochenen Frau würde auch auf der Schauspielbühne tragen. Fast noch mehr Jubel für den grandiosen Bariton Zeljko Lucic, bei dessen "Vater Germont" Kultiviertheit, Wohllaut und Kraft eine derart glückliche Verbindung eingehen, dass der in Frankfurt engagierte Sänger in seiner Generation im italienischen Fach derzeit wohl keine Konkurrenz zu fürchten braucht. Schade, dass mit Valeriy Serkin für Alfredo Germont an diesem Abend kein adäquater Tenor zur Verfügung steht. Das "Orchestre Leonard de Vinci" spielt unter der Leitung von Oswald Sallaberger abseits aller Klischees, sängerfreundlich und in Einklang mit der Inszenierung. Der Chor der Oper Rouen singt souverän, präzise und prägnant. Der im Wetterbericht angekündigte abendliche Schauer war nach Ende der Vorstellung schon vorbei. Eigentlich schade. Ein paar Regentropfen auf der Windschutzscheibe hätten bei der Heimfahrt gut getan. Weitere Vorstellungen am 2., 4. und 6. April. Karten nur noch bei Rückgabe reservierter Plätze.

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