La Traviata in Las Vegas

MERZIG. Für viele Theaterfans aus der Region gehört ein Besuch im Merziger Opernzelt zum traditionellen Sommer-Freizeitprogramm. Auch in der 12. Spielzeit steht das junge Team für unkonventionelle Inszenierungen und spannende Interpreten.

Es braucht schon einige Vorstellungskraft, um in der von rot-weißen Absperrbändern und rohen Holzkonstruktionen dominierten Zelt-Arena das künftige Bühnenbild zu erahnen. Aber an Fantasie hat es Zeltopern-Chef Joachim Arnold noch nie gefehlt. "Da vorne, gleich neben der Bushaltestelle, wird die Stretchlimousine mit Violettas Festgesellschaft vorfahren", schwärmt der 40-Jährige, der die Oper auch dirigiert. "Gegenüber stehen die riesigen Bunny-Figuren für den Club-Eingang. Und den Boxring schieben wir einfach von der Hinterbühne in die Mitte." Bushaltestelle? Limousine? Club? Boxring? Ist hier wirklich von Verdis "La Traviata" die Rede? Und ob. Merzig-erfahrene Besucher wundern sich längst nicht mehr, dass Opas Oper mit steifen Hüten und noch steiferen Figuren im Zelt alles andere als willkommen ist. So hat auch Regisseur Thilo Reinhardt, der die schweißtreibenden Proben mit unablässig mahlendem Unterkiefer verfolgt, die tragische Geschichte um die Edelprostituierte Violetta Valery durch eine Veränderung von Ort und Zeit entstaubt. Geblieben ist das Milieu, nur dass Violettas Club nicht im Paris des beginnenden 18. Jahrhunderts liegt, sondern in Las Vegas. Und ihr Geliebter Alfred Germont, das Landei mit der spießigen Familie, stammt nicht aus der Provence, sondern wahrscheinlich aus irgendeinem amerikanischen Südstaatenkaff.Im leeren Zelt die Seele aus dem Leib gespielt

So genau kann man das bei der Probe noch nicht sehen, aber der junge estnische Tenor Juhan Tralla spielt und singt sich im leeren Zelt die Seele aus dem Leib, als gelte es, 800 Zuschauer zu Tränen zu rühren. Das klingt vielversprechend, ebenso wie die Violetta von Johanna Stojkovic, einer Sopranistin mit exzellentem Ruf als Spezialistin für Barockmusik. Sie wechselt sich in der Titelrolle mit Jana Havranova ab, die kürzlich in Trier als Armgard in Offenbachs "Rheinnixen" brillierte. Vater Germont alias Ivan Konsulov verfolgt die erste Szene derweil in temperaturangemessenen Shorts zum nackten Oberkörper. Rechtzeitig für sein Eingreifen als strenger Familienpatriarch versieht er sich mit Hut, Hemd und Hose. Das ist noch sozialverträglich gemessen an dem Nerzmantel, den die arme Violetta bei gefühlten 40 Grad im brütend warmen Zelt tragen muss. 30 der falschen Pelze hat Ausstatter Paul Zoller in Auftrag gegeben, dazu Smokings und paillettenbesetzte Edelkleider. Schließlich lässt man sich nicht lumpen in Las Vegas. "Wir mussten ein ziemlich anständiges Kostümbudget bereitstellen", sagt Hausherr Joachim Arnold und zuckt die Achseln. Dafür hat er am Hilfspersonal gespart, wie meist in Merzig. "Seid ihr so lieb und packt mal an?", ruft Thilo Reinhardt, und die Darsteller bauen ihre Bühne selber um. Man ist halt nicht im Staatstheater. Letzteres kennt der Regisseur allerdings zur Genüge, gilt er doch als einer der spannendsten Musiktheater-Macher der jüngeren Generation. Sein Weimarer "Fidelio" sorgte im Februar bundesweit für Furore, weil er die Bühne für Demonstranten öffnete. Das hätte bei den gemütlichen Saarländern wohl wenig Sinn - aber für Überraschungen ist die Produktion allemal gut. Vorstellungen am 17., 19., 20., 24., 26., 27., 31. August, 2. und 3. September, jeweils 20 Uhr. Karten: 0681/992680

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